ankasgeblubber
Zwei Menschen, die sich eigentlich sehr nahe sein sollten, sind sich von einer Sekunde auf die andere vollkommen fremd. Auf der einen Seite haben wir Joanna, die reiche Tochter eines australischen Multimillionärs, die vor einiger Zeit ihre Familie und ihr Land verlassen hat, um sich in Deutschland als Fotografin ein eigenes Leben aufzubauen. Sie lebt allein in einem schönen Haus und muss eines Tages einen wahren Albtraum durchleiden. Ein fremder Mann dringt in ihr Haus und ihr Leben ein, doch ihre erste Vermutung, es könnte sich um einen Einbrecher handeln, der es auf ihr Vermögen abgesehen hat, bewahrheitet sich nicht. Es kommt viel dramatischer. Auf der anderen Seite haben wir Erik, einen erfolgreichen und engagierten Geschäftsmann, der sich vor einem Jahr Hals über Kopf in eine attraktive Fotografin verliebt hat und sich seitdem zu den glücklichsten Männern der Welt zählen kann. Er und Joanna sind ein Traumpaar wie es im Buche steht, bis zu dem Tag, an dem Erik nichtsahnend nach Hause kommt und von seiner Verlobten für einen Einbrecher gehalten wird. Er versteht die Welt nicht mehr, ebenso wenig wie Joanna. Sie ist sich sicher, Erik noch nie gesehen zu haben und glaubt an einen bösen Scherz, als er sich als ihr Verlobter ausgibt. Auch Erik kann nicht verstehen, welches Spielchen seine Joanna mit ihm spielt, denn all seine Sachen scheinen aus dem gemeinsamen Haus verschwunden zu sein. Keinerlei Anzeichen dafür, dass in diesem Haus ein glückliches Paar lebt. An dieser Stelle muss sich der Leser entscheiden: Wer sagt die Wahrheit und wer lügt? Wir bekommen die Möglichkeit uns beide Seiten anzuschauen und abwechselnd, mal an Joannas und mal an Eriks Gedanken und Gefühlen teilzuhaben. Die Kapitel sind kurz und knackig gehalten, teilweise überlappen sich die Inhalte, sodass man ein und dieselbe Situation direkt aus beiden Perspektiven erleben kann. Beide Protagonisten kann man verstehen, ihre Gedanken, Ängste und Selbstzweifel sind absolut nachvollziehbar. Umso schwerer fällt es einem, hier den Durchblick zu behalten und sich auf eine Seite zu schlagen. Obwohl sich Joanna und Erik total fremd zu sein scheinen, hat man das Gefühl, dass sich die zwei Autoren umso besser kennen. Beide Perspektiven gehen fließend ineinander über, man hat nie das Gefühl zwei Bücher zu lesen, sondern eine runde Geschichte. Wenn man genau liest, merkt man, dass sich beide Autoren in ihrer Erzählweise unterscheiden, trotzdem lesen sich die einzelnen Kapitel nicht komplett unterschiedlich. Ursula Poznanski und Arno Strobel ergänzen sich großartig und schreiben sich gegenseitig den Ball zu. Ich hatte nicht das Gefühl, dass einer von ihnen das Projekt zu "seinem" Projekt machen oder der Geschichte den eigenen, persönlichen Stempel aufdrücken wollte. Ganz im Gegenteil. Die Grundidee dieser Geschichte hat mir unheimlich gut gefallen. Was für eine geniale Idee, in der so viel Potenzial steckt. Die Richtung, die der Plot schlussendlich eingeschlagen hat, hat mich überrascht und ein bisschen enttäuscht. Gern hätte ich den Fokus auf das Zwischenmenschliche gelegt und die Geschichte "im kleinen Rahmen" abgehandelt. Hier wird jedoch ein viel größerer Bogen geschlagen, die Story gewinnt an Größe, Action und Lärm. Auf der einen Seite hat mir insbesondere der mehr als aktuelle Bezug sehr gefallen, auf der anderen Seite ist mir die Geschichte irgendwie entglitten. Das Gefühl, das ich anfangs beim Lesen hatte, ausgelöst durch die spürbaren (Selbst-)Zweifel der Protagonisten, ihre Angst, ihre Panik, ihr merkwürdiges Verhalten, ging verloren. Trotzdem bekam ich einen spannenden sowie dramatischen Showdown zu lesen, mit dem die Autoren direkt Bilder vor mein inneres Auge projizieren konnten. Ein Blockbuster, in dem eine große Explosion und zwielichtige Verbrecher-Typen nicht fehlen dürfen. Wer am Ende aufatmet, der hat den Epilog noch nicht gelesen. Die letzten Seiten jagen einem, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Ereignisse, einen kalten Schauer über den Rücken und regen zum Nachdenken an. Mit "Fremd" hat das Autorenduo Poznanski & Strobel bewiesen, dass es auch gemeinsam einen spannenden Thriller-Bestseller schreiben kann. Dabei ist es beiden Autoren gelungen, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen, sie aus zwei verschiedenen, gleich gewichteten Perspektiven zu betrachten und währenddessen doch nie den gemeinsamen Weg zu verlassen. Spannend, kurzweilig, rasant und mit Gänsehautfaktor dank aktuellem Bezug. Auch wenn ich von diesem Pageturner etwas anderes erwartet hatte, habe ich Blut geleckt und möchte mehr von Stronanski (oder Pozbel?) lesen!