ankasgeblubber
Stellt euch vor, ihr sitzt zusammen mit einigen anderen Jugendlichen in einem Flugzeug und freut euch auf ein großes Abenteuer. Für ein halbes Jahr geht ihr als Austauschschüler in die USA, um dort Land und Leute kennenzulernen und eure Sprachkenntnisse zu vertiefen. Doch plötzlich treten Turbulenzen auf, das Flugzeug wird mächtig durchgerüttelt und muss notlanden. Die kommenden Minuten kommen dir wie eine Ewigkeit vor, bis du endlich erleichtert aufatmen kannst. Die Maschine ist sicher gelandet. Zusammen mit den anderen Passagieren steigst du aus und betrittst den Flughafen von Denver, ohne zu ahnen, dass die Notlandung bloß der Anfang war. Das Bild, das sich dir hier zeigt, lässt dich an deinem Verstand zweifeln. Das Flughafengebäude ist von Pflanzen überwuchert, alles was du hören kannst ist das Wispern deiner Mitreisenden und außer euch ist meilenweit keine Menschenseele zu sehen. Was ist passiert? Wo bist du gelandet? Welche Gefahren lauern versteckt hinter Bäumen und im nahen Gestrüpp? Und wie kommst du hier wieder weg? Das Szenario, das Thomas Thiemeyer im Auftakt seiner neuen Jugendbuch-Trilogie "Evolution" erschafft, ist ebenso beeindruckend wie außergewöhnlich. Während viele seiner Schriftstellerkollegen gern einen Abstecher in eine technisch hochmoderne Zukunft machen, kehrt der beliebte Stuttgarter Autor, wie bereits zuvor in seiner Reihe "Das verbotene Eden", zu den Wurzeln fernab der heutigen Technologie zurück. Nicht nur seine Protagonisten, auch seine Leser bleiben lange Zeit im Ungewissen. Wo sind die Austauschschüler gelandet? Was ist passiert? Haben sie vielleicht sogar einen Zeitsprung gemacht und befinden sich in der Zukunft? Oder existiert eine Parallelwelt? Aufgrund der Perspektivwechsel durfte ich in unterschiedliche Köpfe hineinhorchen und bekam verschiedene Theorien präsentiert. So lässt der Autor nicht nur seine zwei Hauptfiguren Lucie und Jem sprechen, sondern auch den selbsternannten Anführer Marek oder - auf schwarz hinterlegten Seiten - eine noch gänzlich unbekannte Sssssssssstimme. Wie in vielen anderen Büchern, in denen es um eine Gruppe von Jugendlichen geht, bekommen wir es auch in "Evolution" mit sehr unterschiedlichen Charakteren, die alle ihre besonderen Stärken und Schwächen haben, zu tun. Ich denke, dass jeder Leser eine Figur finden kann, mit der er sich identifizieren kann bzw. die ihm aus seinem eigenen Umfeld bekannt vorkommt. Sei es nun der Macho und Sprücheklopfer, die umschwärmte Hübsche, der Nerd, die Ängstliche oder der Geheimnisvolle. Mir hat die Zusammenstellung der Gruppe sehr gut gefallen, da sie Unstimmigkeiten und Konfliktpotenzial bereithält und die Jugendlichen trotz alledem zusammenhalten und Teamarbeit beweisen müssen. Jem, Lucie und Co. bleibt nichts anderes übrig als loszuziehen, auf der Suche nach anderen Menschen, Nahrung, einer Unterkunft und Informationen. Sie durchsuchen das überwucherte Flughafengebäude und ziehen durch verlassene Straßen. Mich haben diese Streifzüge an frühere PC-Spiele erinnert, in denen man nicht nur viel entdecken, sondern in denen auch hinter jeder Ecke eine unheilvolle Überraschung lauern kann. Die anschaulichen Beschreibungen haben meiner Fantasie einen großen Anstoß gegeben und mich schnell in die neue, unbekannte Welt eintauchen lassen. Obwohl dies der erste von drei Bänden ist, liefert Thomas Thiemeyer bereits einige Erklärungen. Diese fallen an zwei Stellen recht ausführlich aus und ließen mich in meinem Lesefluss kurzzeitig innehalten. War ich eben noch mit rasendem Herzen geflüchtet, wurde ich nun mit Informationen überhäuft. Selbst mit meinen fast 30 Jahren konnte ich dank dieser einiges lernen. So hatte ich nach dem Beenden des Buches (welches übrigens jungen Leserinnen und Lesern ab 12 Jahren empfohlen wird) das Gefühl, mit einem gewissen Mehrwert aus dieser Geschichte hinausgegangen zu sein. Mal abgesehen von diesen zwei Passagen gerät die Geschichte nicht ins Stocken, ganz im Gegenteil. Sie wird schnell vorangetrieben und mit viel Spannung sowie der ein oder anderen actionreichen Sequenz gewürzt. Abgeschmeckt mit einer zarten, sich anbahnenden Liebesgeschichte und einem Ende, das einen mit großer Vorfreude auf die Fortsetzung warten lässt, wurde "Evolution - Die Stadt der Überlebenden" für mich zu einem abenteuerlichen Leseerlebnis.