emswashed
Was für ein Auf und Ab, was für ein Hin und Her! Ein Haus am Strand, mit Ausblick auf das weite Meer, ein Wunschtraum? Ein Wunsch der wohlbedacht sein will. Ostküste für den wundervollen Sonnenauf-, oder Westküste für den romantischen Sonnenuntergang? Nordsee, mit aufregenden Wattwanderungen, oder Ostsee mit (fast) beständigen Wasserpegeln? Was man aber auf jeden Fall bedenken sollte sind die Gezeiten, die an jedem Ort ihren eigenen Charakter ausbilden. Im Mittelmeer nahezu vernachlässigbar, können sie einem an den britischen Küsten das Leben schwer machen. Ein Blick in die Geschichtsbücher dieser Orte, oder das romantische Erbe dieser Gegenden, könnten schon ein Warnung für Kommendes sein. Doch stehen vielerorts auch Experten mit Rat und Tat zu Seite, schon immer ein unverzichtbarer Bestandteil für Handelsbeziehungen auf See. Aber seien wir mal nicht allzu ängstlich, schließlich kommt alles Leben aus dem Meer und geht vielleicht dorthin zurück. Die Menschheit drängt sich an den Küsten, vielleicht im Bewußtsein ihrer Vergangenheit und angesichts der Tribute, die sich das Meer in immer kürzeren Abständen holt, auch für einen Blick auf Zukünftiges. Ich habe noch in der Schule gelernt, dass sich die Gezeiten im Rythmus der Tageszeiten und damit dem Stand der Erde zum Mond abbilden, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Die Landschaft, Ausrichtung der Landmassen zur Himmelrichtung, Buchten, Meerengen, Salzgehalt, Strömungsgeschwindigkeiten, Wetter, ja sogar Plattentektonik und Vieles mehr beeinflusst den Tidenhub an jedem Strandabschnitt, von wenigen Zentimetern, bis zu 13 Metern. Auch überlebenswichtige Seekarten aus vergangenen Zeiten müssen ständig überprüft und aktualisiert werden. Ein paar, von der Schneelast der letzten Eiszeit befreiten Landmassen, "wippen" immer noch zurück und das "traurige" Ende dippt jetzt langanhaltender und tiefer in die Fluten. Auch unser Mann im Mond wird alt und vernachlässigt seine Aufgaben. Er driftet mit seinem Taktgeber ab. Wo er in seiner Jugendzeit den Erdentag noch auf 6 Stunden begrenzt hat, kommt er jetzt auf stolze 24 Stunden und bietet eine Menge Möglichkeiten für Überstunden (er steht in Verhandlung mit den Arbeitgebern). Außerdem verursacht das Chaos, was er hier auf der Erde angerichtet hat, sprich Ebbe und Flut, eine weitere Abbremsung der Erdrehung, sodass das Meer eigentlich wieder ruhiger werden müsste. Aber so ganz ohne Gezeiten? Auch blöd. Bringen sie doch so mancherlei Fundstücke aus längst verloren geglaubten Schiffsladungen an Land, deckt mühsam Schichten auf, aus denen wir unsere Geschichte ablesen können, nur um sie dann, nach kurzem Zeitfenster, wieder zuzuschütten, zwingt sie Lebewesen zu einem äußerst originellen Lebenswandel zwischen nass und trocken und bieten sie vor allem eine Möglichkeit auf ledernen Sohlen den Meeresboden zu betreten. An manchen Orten nehmen sie sich das Land, an anderen Orten geben sie es zurück, ohne Rücksicht auf Häfen und Routen, auf die sich der Mensch verlassen hat. Egal wie oft er eingreift, baggert und baut, das Wasser bekommt, was es will, auch wenn es dafür meilenweit fließen muss! All dies und noch viel mehr, von spannenden Beobachtungen, über Ausflüge in Kunst und Literatur, bis zu interessanten Erklärungen der Phänomene gibts in diesem Buch. Eine überaus bunte Mischung an Gedanken und Fakten über ein Thema, das uns schon immer begleitet hat und vielleicht ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Gefühlt, habe ich mir vor Jahrzehnten schon dieses Buch gewünscht, nachdem es in einem Wissenschaftsforum vorgestellt wurde. Allerdings bewies ein Blick aufs Impressum, dass es erst 4 Jahre gewesen sein konnten. Komisch, aber egal, wieviel Zeit es nun wahr, ich hatte nicht das Gefühl, dass es an Aktualität oder Brisanz eingebüßt hätte. Gezeitenkraftwerke und Schutzdämme werden auch angesprochen und ich weiß auf Anhieb keinen Aspekt, der in diesem Buch fehlen könnte. Eine tolle Lektüre, ansprechend geschrieben.