Carsten Schmitt
Pünktlich zum Start der gleichnamigen Science-Fiction-Serie auf Netflix ist Richard Morgans vielfach mit Genre-Preisen ausgezeichneter Erstlingsroman ALTERED CARBON – DAS UNSTERBLICHKEITSPROGRAMM beim Heyne Verlag neu erschienen. Die düstere Optik des Serien-Trailers erinnert an BLADE RUNNER und reichlich Action verspricht er auch. Aber wie verhält es sich mit dem Buch? Nicht viel anders, soviel darf vorweg verraten werden. In der Zukunft haben Menschen den Weltraum besiedelt. Die Raumfahrt wird noch durch die Lichtgeschwindigkeit beschränkt, doch Kommunikation ist überlichtschnell möglich. Die Menschheit hat gelernt, das Bewusstsein sowie die Erinnerungen eines Menschen zu lesen und als pure Information zu speichern und zu senden. Damit dauern Reisen zwischen den besiedelten Planeten nicht mehr Generationen. Einen Haken hat die Sache: der Körper bleibt zurück und der Geist des Reisenden wird in einem neuen Körper geladen. Nicht nur zum Reisen durch das All nützt die Technologie, auch der Tod ist damit überwunden. Ein Chip im Kopf speichert eine Kopie des Bewusstseins, das somit nach dem Tod in eine mehr oder weniger neue Hülle geladen werden kann – sofern man gut genug versichert ist oder nicht religiöse Gründe dagegen sprechen. Damit ist auch das Justizsystem revolutioniert. Gefängnisstrafen verbüßt man als gespeicherte Information auf einer Festplatte, um sich unter Umständen mehrere hundert Jahre später in einem fremden Körper wiederzufinden, während der eigene zwischenzeitlich weiterverwendet wurde. So ergeht es dem Helden des Buches, Takeshi Kovacs. Kovacs ist ein ehemaliger Agent des Envoy-Corps, einer Mischung aus Geheimdienst und militärischem Spezialkommando, mit dem das Protektorat das Sternenreich der Erde zusammenhält. Takeshi ist damit auch am NIederhalten von Unabhängigskeitsbestrebungen beteiligt. (IN den Details zwischen Envy-Corps und Aufständischen besteht auch einer größeren Unterschiede zwischen Roman und Serie) Nach seinem Ausscheiden aus dem Corps, verdingt er sich als Verbrecher, was ihm schließlich zum Verhängnis wird. Ein krummes Geschäft geht schief, er “stirbt“ und wacht viele Jahre später auf der Erde auf. Der mächtige Industrielle Bancroft hat ihn freigekauft und mit einem neuen Körper ausgestattet. Sein Auftrag an Takeshi: einen Mord aufklären, den die Behörden als Selbstmord eingestuft haben. Gäbe es nicht den Science-Fiction-Hintergrund, es läse sich wie der Auftakt zu einem gewöhnlichen Krimi. Es gibt einen privaten Ermittler, einen wenig tugendhaft erscheinenden Auftraggeber und dazwischen einen mysteriösen Mord. Wäre da nicht die Kleinigkeit, dass es sich bei dem Verbrechen um den Selbstmord/Mord von Takeshis Auftraggeber Bancroft selbst handelt. Der Bewusstseinsspeicher des Industriellen wurde bei der Tat zerstört, doch als umsichtiger Mann besitzt er eine Sicherheitskopie. Dumm nur, dass zwischen dem letzten Back-up und der Tat gute 48 Stunden liegen. Somit fehlt ihm jegliche Erinnerungen an den entscheidenden Zeitraum. Dennoch ist er überzeugt: Selbstmord ist nicht seine Sache. Takeshi Kovacs beginnt zu ermitteln. Es wäre kein Kriminalroman alter Schule, wenn er nicht in ein Wespennest aus Lügen und Intrigen, aus schmutzigen Geheimnissen und dreckigen Geschäften stechen würde. Für Spannung und Unterhaltung ist also bestens gesorgt. ALTERED CARBON ist ein Genre-Mix und sieht sich selbst in der Tradition von Cyberpunk und Hard-Boiled-Kriminalromanen. Tatsächlich geht es wenig zimperlich zu, was Sex und Gewalt betrifft. Das ist sicherlich nichts für empfindliche Gemüter, aber auch nicht völlig übertrieben und gefühllos. Womit sich das Buch von “echten“ Hard-Boiled-Krimis unterscheidet. Gleiches gilt für die Sprache. Wo Hard-Boiled-Autoren eher karg in ihren Beschreibungen sind, holt Richard Morgan weiter aus. Da er eine Science-Fiction-Welt beschreiben muss, ist das verständlich, doch wenn man ALTERED CARBON eine Sache vorwerfen kann, dann dass es etwas kürzer hätte ausfallen können. Die Zukunftswelt des Romans ist bunt und schlüssig, sieht man von einigen wenigen (und weniger glaubhaften) Anachronismen ab, die Genre-Konventionen geschuldet sind und nicht stören. Wer keinen kurz-knackigen Krimi à la Richard Stark erwartet, sondern in erster Linie einen actionreichen, doch keinesfalls plumpen, SF-Roman mit einem coolen und interessanten Helden, einer faszinierenden Welt und einer tiefen Hintergrundgeschichte (über die man in den kommenden Büchern und Staffeln der Serie vermutlich mehr erfahren wird), der ist mit ALTERED CARBON – DAS UNSTERBLICHKEITSPROGRAMM gut bedient. Diese Rezension erschien zuerst bei NAUTILUS - Fantasymagazin