Carsten Schmitt
Dass die Handlung des neuen Tad-Williams-Romans nahtlos an DAS REICH DER GRASLÄNDER 1 anknüpft, sollte keine Überraschung sein, denn wie bereits beim Vorgängerband wurde die deutsche Übersetzung von THE EMPIRE OF GRAS auf zwei Bücher aufgeteilt. Wie man es von Tad Williams kennt, entwirft der Autor ein großartiges Panorama von Handlungssträngen und Figuren. Da ist Prinz Morgan, dessen Mission, die Sithi um Hilfe zu bitten, gründlich schief gegangen ist. Bei seiner Odyssee durch den Altforst bleibt er jedoch nicht lang allein und seine Figur macht eine glaubhafte Entwicklung durch, bei der es Tad Williams gelingt, das ein oder andere Fantasy-Klischee gekonnt zu umschiffen. Die Perspektiven der Halb-Norne Nezeru und ihrer Mutter Tjossa bieten faszinierende Einblicke in die Welt dieser Wesen, denen der Autor in seiner neuen Osten-Ard-Trilogie eine vielschichtige Kultur angedeihen lässt. Nichts läge ihm ferner, als sie zu Dunkelelfen-Abziehbildchen verkommen zu lassen. Dieser Handlungsstrang hält auch eine Déja-vu für altgediente Williams-Fans bereit: Ein weiteres Mal rückt die Feste Naglimund ins Zentrum des Geschehens. Derweil eskaliert die Situation in Nabban und Simons Frau, Königin Miriamel, ist mittendrin. Außerdem gibt der Autor hier bereits einen Vorgeschmack, warum das nächste Buch, THE NAVIGATOR’S CHILDREN, einen genaueren Blick auf das Volk der Nixies werfen wird. Und nicht zuletzt merkt nun auch der letzte Einfaltspinsel in den “zivilisierten” Landen, dass die Clans des stolzen Nomadenvolks der Grasländer nicht mehr lange tatenlos zusehen werden, wie ihr Lebensraum immer weiter eingeengt wird. Es schwelt also an allen Ecken und Enden des einst so friedvollen Reichs von Hochkönig Simon und Königin Miriamel ... Derart verkürzt wiedergegeben, erscheint das Konglomerat an Schauplätzen und Handlungssträngen unübersichtlich. Warum ausgerechnet die alte Feste Naglimund wiederum die Aufmerksamkeit der Nornen auf sich zieht, irritiert. Hätten die Nornen nicht bereits vor Jahrzehnten das Artefakt bergen können, das sie hier zu finden hoffen? Doch man ist schnell bereit, es dem Autor zu verzeihen, denn die Geschichte fesselt und Tad Williams gelingt wieder einmal, was er am besten kann: Eine Reihe von sympathischen und faszinierenden Charakteren aufzubauen, die man gerne auf ihren Reisen durch eine dichte Fantasywelt begleitet, weil man weiß, dass am Ende all ihre Geschichten miteinander verschränkt sind. Diese Rezension erschien zuerst auf NAUTILUS - Fantasymagazin