Carsten Schmitt
Den einen Film, das für sich stehenden Buch — so etwas gibt es in der Genre-Unterhaltung fast nicht mehr. Erreicht etwas einen gewissen Grad an Popularität, wird es zum ”Franchise”, und neben Fortsetzungen, Reboots und Prequels, erscheinen dann noch Adaptionen in anderen Medien. BLADE RUNNER, Ridley Scotts Science-Fiction-Meisterwerk aus dem Jahre 1982, blieb davon lange verschont. Nicht wenige Fans waren eher erleichtert, als bekannt wurde, dass Denis Villneuve die Fortsetzung BLADE RUNNER 2049 drehen würde, denn Ridley Scotts ALIEN-Prequels fielen bei Fans und Kritik größtenteils durch. Im literarischen Bereich war es ebenfalls lange ruhig. In den 1990er Jahren waren einige Romane erschienen, die sich aber nicht an der genialen, wenn auch für den Massengeschmack etwas sperrigen, Originalvorlage TRÄUMEN ANDROIDEN VON ELEKTRISCHEN SCHAFEN von Philip K. Dick orientierten, sondern am Film von 1982. Die Kritiken waren vernichtend und so erinnert sich zurecht kaum jemand mehr an diesen Versuch. Lag es am Medium? BLADE RUNNER ist eines der Beispiele für modernes Unterhaltungskino, das eine tiefgründige Handlung mit einer überwältigenden Optik verbindet. Eine Comic-Adaption bietet sich also an. Panini Comics veröffentlicht nun die deutsche Ausgabe der im Original bei TITAN erscheinenden Serie BLADE RUNNER 2019. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Nacherzählung oder Fortsetzung der Filmhandlung, sondern um eine eigenständige Geschichte, die sich der Welt und Motive des Films bedient. Die Protagonistin Aahna “Ash” Ashina ist ein Blade Runner, eine, die entlaufene Androiden aufspürt und aus dem Verkehr zieht, das heißt tötet. Von ihrer Mutter als Kind auf der kaputten und verseuchten Erde zurückgelassen, ist sie eine zynische und taffe Polizistin geworden, die das Ringen mit ihren inneren Dämonen hinter einer eiskalten Fassade verbirgt. So ist sie wenig begeistert, als sie den Auftrag erhält, den Unternehmer Alexander Selwyn aufzusuchen, dessen Konzern mit günstigen Nahrungsmitteln die verarmten Massen auf der Erde ernährt. Seine Frau und kleine Tochter sind verschwunden und Ash soll sie finden. Schnell wird klar, dass es sich keinesfalls um eine Entführung handelt, sondern dass Isobell Selwyn mit ihrer Tochter auf der Flucht ist. Es beginnt eine Reise durch die dunklen Ecken der ohnehin schon düsteren Gesellschaft des BLADE RUNNER Universums im Los Angeles des Jahres 2019. Das Gespann um die Autor Michael Green und Mike Johnson sowie dem Künstler Andrés Guinaldo beweist gleich zu Beginn, dass sie willens sind, die Konventionen seichter Genre-Unterhaltung zu brechen, denn wo es sonst heißt, diese Art von Literatur benötige eine sympathische Protagonistin, mit der die Lesenden sich identifizieren können, präsentiert uns der Comic Ash als den aktiven Part einer Folterszene. Das ist schon nicht mehr Future Noire, sondern Future Hard-Boiled, und gibt den Ton an für das, was danach kommt. Optik, Stimmung und Stil der filmischen Vorlage werden wunderbar auf das Comic-Medium übertragen und präsentieren eine Handlung, die glaubhaft in die BLADE RUNNER Welt passt, aber auf Deckard, Gaff und Tyrell verzichten kann. Die deutsche Ausgabe von PANINI enthält neben dem Inhalt der ersten vier Hefte noch eine Cover-Galerie, einige “Making-of”-Seiten, sowie ein Interview mit dem Künstler Andrés Guinaldo. Ein klare Empfehlung für Fans stylisch-düsterer Science-Fiction-Comics und für BLADE-RUNNER-Fans sowieso. Der zweite Band ist von Panini bereits für den September angekündigt. Diese Rezension erschien zuerst bei NAUTILUS - Fantasymagazin