stefanie aus frei
…zu richten die Lebenden und die Toten… …zu richten die Lebenden und die Toten, mit diesem Ziel ist er angetreten, ein Täter, der sich selbst „der Richter“ nennt. Sein erstes Opfer ist die ältere Ingeborg Rohleder, die erschossen wird beim Gassiführen des Hundes. „In Memoriam Ingeborg Rohleder. Ingeborg Rohleder musste sterben, weil sich ihre Tochter der unterlassenen Hilfeleistung und Beihilfe zur fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. Der Richter.“ S. 101 Es bleibt nicht bei der einen Leiche – weitere Tote folgen, scheinbar wahllos hingerichtet durch Kopfschuss. Panik bricht aus unter der Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet, und das kurz vor den Weihnachtstagen! Pia Kirchhoff und ihr Chef Oliver von Bodenstein ermitteln mit ihrem Team, stark eingeschränkt durch Jahresende, Grippewelle und Urlauber kommen sie bald körperlich an ihre Grenzen, ohne erste Erfolge. Der erste Tote ohne Kopfschuss bringt die Ermittler auf die richtige Fährte. Doch als ich als Leserin mit einer baldigen Aufklärung rechnete und noch einiges an Seiten vor mir hatte, legte Autorin Neuhaus erst so richtig los… Der nach meiner Meinung beste Band der Reihe bietet mehr Themen als zuerst gedacht – was als Ermittlung nach einem vermeintlichen Sniper beginnt, birgt noch so einiges mehr; aber ich möchte bewusst nicht zu viel verraten. Wie immer bei Nele Neuhaus gibt es bei den Ermittlungen viele viele Namen – allerdings werden die Personen, Opfer und Verdächtige, jeweils so geschickt gruppiert eingeführt, dass es leicht fiel, den Überblick zu behalten. Zur Sicherheit habe ich aber eine Tabelle erstellt. Die Spannung wird durch die doch nicht wenigen Seiten durchgehend hoch gehalten, ja, häufig noch gesteigert; ich fühlte mich beinahe wie in einem Thriller gebannt. Dabei tauchen keine Sexualdelikte auf und man trifft nicht auf einen gestörten Sadisten, meine übliche Bemerkung für diesbezüglich empfindliche Leser. Begeistert hat mich die Recherche, die Frau Neuhaus zu medizinisch und ethisch nicht einfachen Fragen betrieben hat – zufällig hatte ich gerade ein Buch mit ähnlichem Grundthema gelesen und war dort enttäuscht worden. Die Informationen in „Die Lebenden und die Toten“ sind hingegen fundiert, umfassend und ausgewogen, auch in der Zwiespältigkeit zum angesprochenen Thema. Statt zu verunsichern, wird Wissen vermittelt – und ja, einige Ärzte gehen mit Patienten und Angehörigen bei Krankheit und Tod unsensibel vor. Von dieser Darstellung im Buch bin ich geradezu begeistert; auch die sonstige Einblicke in die Polizeiarbeit wirken sehr solide. Geradezu liebgewonnen habe ich seit vielen Büchen das übliche Ermittlerteam – immer wieder erfährt man auch als Leser der gesamten Reihe neue Hintergründe über die Kommissare, so bleibt es immer menschlich. Ich persönlich habe die Reihe nie chronologisch gelesen, somit halte ich einen Einstieg durch das beschriebene Vorgehen der Autorin jederzeit für möglich. Ich habe dieses Mal wirklich nur als Schwachstelle gefunden, dass um S. 308 die Ermittler der Buchhalterin nicht mitzuteilen scheinen, dass ihr Chef sie NICHT versetzt hat (nicht, ich verrate nicht mehr – selbst lesen!). Volle 5 von 5 Sternen. Ich habe übrigens zufällig das Buch praktisch zeitgleich zur Ausstrahlung des ZDF-TV-Zweiteilers gesehen – personell wurde die Umsetzung zwar etwas gerafft und besonders im zweiten Teil noch bezüglich der Handlung ein wenig geändert, aber insgesamt kann sich auch diese Version durchaus sehen lassen. Mir gefiel eigentlich nur nicht, dass die im Buch durchaus schlagfertige jüngere Schwester von Pia, Kim, im Film wesentlich schwächer rüber kam. Eine Aufstellung zu Ermittlern und den Menschen, mit denen sie es dieses Mal zu tun haben, hängt an.