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bibliomarie

Posted on 15.9.2020

Vielleicht ist seine Schreibblockade der Grund, dass sich der Schriftsteller Jack Waterman mit der Vergangenheit beschäftigt. Vor Jahren hat er das letzte Lebenszeichen seines Bruders Theo erhalten: eine unleserliche Postkarte aus dem kanadischen Ort Gaspé. Plötzlich wird es im bewusst, was für eine große Rolle sein Bruder in seinem Leben spielte und er fühlt sich auch schuldig, nie nach Theo gesucht zu haben. Mit einem alten VW Bus will er den verwehten Spuren folgen und hätte er nicht unterwegs eine junge Anhalterin mitgenommen, wäre sein Versuch wohl schon zu Anfang gescheitert. Aber die „Große Heuschrecke“, wie er Pitsémine wegen ihrer langen und dürren Beine nennt, bringt ihn mit ihren Ideen auf die Spur. Außerdem ist sie Mechanikerin, was bei einem so alten Bus mit fast 200000 km auf dem Tacho ein unschätzbarer Vorteil ist. Die Große Heuschrecke ist eine fast manische Leserin und vor allem die Geschichte der Landnahme der französischen Einwanderer und Entdecker interessiert sie, ist sie doch als Nachfahrin der indigenen Bewohner direkt davon betroffen. Zusammen durchqueren sie den amerikanischen Kontinent, reisen wie die frühen Siedler auf dem Oregon Trail gen Westen und finden ab und zu Hinweise auf Theo. Für Jack wird diese Reise auch immer mehr in Reise zu sich selbst, je mehr er sich seiner Begleiterin öffnet. Dabei bleiben die Reisegefährten freundschaftlich distanziert, so siezen sich während der ganzen Fahrt. Diese Road Novel – ich finde einfach keine passendere deutsche Entsprechung ist ein wunderbarer Reisebericht, leise und intensiv und auch ein wenig melancholisch erzählt. Ich habe bedauert, dass ich dieses Buch nicht bei Erscheinen vor 20 Jahren lesen konnte, ich hätte mich vielleicht für eine solche Fahrt inspirieren lassen. Schade, dass es so lange dauerte, bis dieses Buch endlich in Übersetzung in Deutschland erschien. So folge ich Jack und Pitsémine per Buch quer durch Amerika und lerne dabei sehr viel über die Geschichte der Siedler und Entdecker. Man sollte sich Zeit nehmen und das Buch langsam lesen um die Geschichte besonders zu genießen, dann ist das Fernweh programmiert. Aber das ist ja auch das Ziel einer Reiseerzählung.

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