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wandanoir

Posted on 12.9.2020

Facettenreiche Protagonisten reißen mit. In dem Roman „Brüder“, der ganz und gar zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Bücherpreises 2019 steht, läßt die Autorin vor dem Leser nacheinander zwei Biografien entstehen. Zwei sehr unterschiedliche Männer treten auf, die einander nicht kennen und nicht wissen, dass sie denselben Vater haben, der im Leben der zwei Frauen auftauchte - und schnell wieder verschwand. Der eine Mann, Mick, ist ein Hallodri, Lebenskünstler, der wie eine Katze immer wieder auf die Füße fällt, der andere, Gabriel, ein kontrollierter Stararchitekt. Beide Lebensläufe nehmen den Leser völlig gefangen. Jackie Thomaes Protagonisten sind nicht Null acht Fünfzehn. Gemeinsam haben die beiden Männer ihre Vaterlosigkeit und den Migrantenhintergrund, denn ihr Vater ist schwarz. Wie sie damit umgehen und inwieweit beides ihr Leben prägt oder auch nicht prägt, ist mitreißend erzählt. Notgedrungen müssen sie sich immer wieder einmal mit der Thematik Ausgrenzung, Diskriminierung, Identität auseinandersetzen, wenngleich ihr jeweiliger Fokus woanders liegt. Die Autorin läßt ihre zwei Geschichten nicht ineinanderfließen, sondern präsentiert sie hintereinander, fast wie zwei getrennte Romane, es gibt nur einen schmalen Faden, der sie verbindet. Aber das reicht. Ihre Protagonisten sind klug ausgesucht, die Geschichte voller wunderbarer, abstruser und völlig überzogener Details, die aber genau so hätten passieren können. Das Leben ist so: bunt und verrückt. FAZIT: „Brüder“ ist ein Roman von großer gestalterischer Kraft. Die Erschaffung der facettenreichen Protagonisten ist das große Plus dieses Romans. Und nachdem ich nun alle sechs Romane der Shortlist gelesen habe, meine ich, „Brüder“ ist der einzige Roman der diesjährigen Shortlist, der mit „Winterbienen“ von Norbert Scheuer mithalten kann. Ich bin begeistert. Von mir gibt es daher eine, selten ausgesprochene, direkte LESEEMPFEHLUNG für diesen klugen, einfühlsamen, kreativen und eindrucksvollen Roman. Kategorie: Anspruchsvoller Roman Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises Verlag: Hanser, 2019

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