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«Wir sind keine defizitären Rechner, sondern empfindsame, verletzliche und resonanzbedürftige Wesen, die sich ihr Leben erzählen, um es mit Sinn auszustatten.» Richard David Precht beschäftigt sich mit den wichtigsten Fragen rund um das Thema «Künstliche Intelligenz» und stellt dabei interessante Fragen mit philosophischen Ansatz, zieht die Naturwissenschaft heran und die Psychologie des Menschen. An manchen Stellen in diesem Essay polemisiert Precht – aber genau das ist gewollt, um die Diskussion um unsere Zukunft in Gang zu bringen. Er kritisiert, dass der Mensch sich heutzutage eher mit Computern vergleicht, als mit dem Tier und er zeigt auf, wie wenig berechenbar der Mensch ist, der von Trieben, Assoziationen und Gefühlen geleitet wird und nicht von einer logischen Rechenleistung. Der Mensch ist spontan, nicht rational. Precht hält die Ängste, dass Maschinen uns eines Tages überflügeln können für «abenteuerlich», ebenso, «dass diese Maschinen böse werden». Denn KI kann keinen eigenen Willen entwickeln, da in der Evolution erst der Wille existierte, sich bei manchen Tieren daraus auch Intelligenz entwickelte. Zum Willen gehöre ein lebendiger Leib mit allen seinen chemischen Funktionen. Dies ist eine aufschlussreiche philosophische Herangehensweise. «Was KI heute kann, ist zwar beeindruckend, aber in keiner Form ähnlich oder gar gleich menschlich Intelligenz. KI hat einiges mit Intelligenz zu tun, aber kaum etwas mit Verstand und nicht entfernt mit Vernunft. Das sich daran etwas in absehbarer Zeit ändert, ist, wie wir sehen werden, unwahrscheinlich.» Der Autor beschäftigt sich mit dem Thema Verstand und Vernunft, die ohne Emotionalität gar nicht möglich ist. Komplexe Gefühle wie Glück, Trauer, Einsamkeit, Freude, Schadenfreude, Liebe, Zuversicht, Angst, Stolz, Frustration, Rache usw. beeinflussen unsere Gefühle, unser Handeln, machen uns unberechenbar, kreativ, flexibel, spontan. Und genau aus diesen verschiedenen Einflüssen und Trieben entwickeln wir unsere Werte, setzen Vertrauen, Misstrauen, Freundschaft, Respekt usw. Wir sind subjektiv. Eine Maschine hat keine Gefühle, entwickelt keine Werte. Und was genau in unserem Gehirn passiert, während wir denken und fühlen, wissen wir bis heute nicht. Unser neuronaler Prozess ist intransparent, also unsere Intelligenz – der Prozess von Maschinen liegt offen, eine transparente «Intelligenz». «Selbst, wenn man versucht, ihr sogenannte Werte einzuprogrammieren, hat sie keine.», sagt Precht. Sie besitzt auch kein Selbstwertgefühl oder den Trieb sich weiterzuentwickeln, man kann sie nur programmieren, sich logisch, mathematisch zu optimieren. So resümiert Precht: «Ich rücke den Menschen näher an die Tierwelt heran und stärker von seinen Maschinen weg.» Im weiteren Verlauf macht sich der Philosoph Gedanken um unsere Gesellschaftsform, die kapitalistisch geprägt ist. Höher, weiter, schneller, effizienter, optimierter. Märkte ausweiten, Gewinne erzielen. Er spricht den derzeitigen Plattformkapitalismus an: Wenige Riesen beherrschen den Markt, KI-Unternehmen. Sie versprechen ein besseres Leben, aber sie unterliegen wie alles, dem kapitalistischen System. Ob die ausgebeuteten Mitarbeiter von Amazon nun ein besseres Leben führen unter dem Firmenslogen «Work hard. Have fun. Make histoy.», bezeichnet Precht als zynisch. «Ohne Gefühlsimpulse wäre unsere Rationalität arbeitslos.» Hat uns IT und KI bisher glücklicher und zufriedener gemacht? Precht behauptet nein, wenn man dabei an Gewinnmaximierung durch Controlling denkt, an Optimierung und Effizienzsteigerung. An die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen und Tiere und an die Umwelt wird dabei selten gedacht. Wenn wir bestehen wollen, so Precht, müssen wir uns vom Kapitalismus befreien. Denn die Daueroptimierung und Effizienz bei immer mehr Gewinn sei kein menschlicher Trieb, sondern daran sei der Ökonomismus der Gesellschaft schuld, entstanden mit der Industrierevolution. Precht wünscht sich eine Gesellschaft, die Lebensqualität in den Vordergrund rückt, entsprechend den griechischen Philosophen, die vom «Gleichgewicht der Seelenkräfte» sprechen. «Beim Menschen hingegen ist es genau umgekehrt: Ihre Problemlösungsmuster und -strategien sind hoch individuell, das heißt, jedes Gehirn denkt anders. Ihre Intelligenz dagegen ist allgemein, also hochflexibel und auf alle erdenklichen Bereiche anwendbar.» Precht sagt, dass der Hang nach Problemlösungsstrategien des Menschen überschätzt wird. Denn hierbei wird gern die Maschine mit dem Menschen verglichen. Dabei übersähe man, dass der Mensch von Emotionen und Trieben angetrieben wird, das Lösen von Problemen nur ein kleiner Teil dabei sei. Vorrangig möchte der Mensch sich belohnen. Er ist aktiv, um sich im Nachhinein zu belohnen, Triebe, Gefühle. Aber der Mensch ist eben nicht nur logisch, sondern triebgesteuert. Das Wissen um die Wirkung von Drogen oder bestimmten Nahrungsmitteln hält ihn nicht davon ab, sie zu konsumieren. Das Wissen abzustürzen, hält den Gipfelstürmer nicht vom Klettern ab. Der Mensch hat Werte, die er in Gesetze formuliert. Eine «ethische Programmierung» von autonomen Fahrzeugen ist mit dem Prinzip der Menschenwürde nicht vereinbar, sagt Precht. Sie würde eine «Abstufungen von Lebenswerten» bedeuten, die mit unserem Grundgesetz nicht kompatibel ist. Schon heute haben wir ein Problem mit Persönlichkeitsrechten in der KI, ganz abgesehen von ethischen Problemen, die die Programmierung in Medizin und und Militär mit sich bringt. Und er spricht den enormen Ressourcenverbrauch der elektronischen Revolution an, den Verbrauch an Bodenschätzen und den Elektroschrott, die Umweltzerstörung, die daran hängt, die Optimierung der Fischerei, den hohen Energieverbrauch. Der Mensch und seine Einpassung in die Umwelt sollte im Vordergrund stehen und nicht der kapitalischtische Raubbau an Ressourcen und Menschlichkeit. Wir haben die Wahl unsere Zukunft selbst zu gestalten. «Nicht das Nicht-Banale am Menschen neu zu entdecken und ihn neu zu definieren, nicht als das Andere der Natur, sondern als das Andere der künstlichen Intelligenz.» Hier werden eine Menge Fragen an unsere Zukunft gestellt, über die es sich lohnt nachzudenken. Ein interessantes Buch mit vielen Denkanstößen, das zu reger Diskussion auffordert. Ein Essay, an dem man nicht vorüber gehen sollte. Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF.