mabuerele
„...Mit der Ausreise nach Amerika, so hatte Ruth gehofft, würden alle diese Lasten von ihr abfallen. […] Doch schon auf der Überfahrt war ihr klar geworden, dass dies eine Illusion war. Sie würde immer und immer ihre Vergangenheit mit sich tragen. Die Angst und die Last...“ Dieser Gedanke von Ruth durchzieht wie ein roter Faden viele Seite des Buches. Im Jahre 1940 erreicht Ruth mit ihren Eltern und ihrer Schwester Ilse Amerika. Es ist eine Zeit voller Hoffnung, aber auch Ungewissheit. Schon auf der Fahrt findet sich der erste, der es auf geschickte Art versteht, den Asylanten das Geld aus der Tasche zu ziehen. In Chicago haben ihre Freunde alles vorbereitet. Es wartet eine kleine Wohnung auf sie, allerdings auch die ersten Probleme. Das Geld ist knapp. Einkaufstouren in der verlockend neuen Welt sind nicht drin. Der Vater und Ruth bemühen sich um Arbeit. Die Autorin hat den vierten Teil zeitnah an das dritte Buch angeschlossen. Sie erzählt eine lebendige und berührende Geschichte, in deren Mittelpunkt vor allem Ruth steht. Der Schriftstil lässt sich gut lesen. Es wird viel Wert auf die Gedanken und Gefühle der Protagonisten gelegt. Der Vater Karl weiß, was er seinen großen Tochter zu verdanken hat. „...Und ich will es einmal aussprechen. Du hast unser Leben gerettet. Du hast uns nach England geholt, in letzter Minute. Hättest du dich nicht so für uns eingesetzt, wären wir noch in Deutschland, und wer weiß, was dann wäre...“ Doch die schönsten Worte nützen nichts, wenn Karl später eine Entscheidung fällt, die Ruth hart trifft. Trotzdem akzeptiert sie die Antwort des Vaters. Er kann noch nicht über seinen Schatten springen. Sie sind in einem neuen Land, aber die alten Einstellungen und Ansichten wurden logischerweise mitgebracht. Ruth hat das so in Worte gefasst: „...Es ist ein Neuanfang hier – ein neues Land, neue Leute, eine neue Umgebung und viele andere neue Dinge. Doch wir sind nicht neu, wir sind die Alten. Wir haben einen Rucksack an Gedanken, Ängsten und Befürchtungen. Den werden wir wohl immer mit uns tragen müssen...“ Den jungen Leuten gelingt es besser, das amerikanische Lebensgefühl zu verinnerlichen. Bei Ruth bleibt aber eine latente Angst, dass nichts von Ewigkeit ist. Die nimmt noch zu, als Diskussionen darüber beginnen, ob und wann die USA in den Krieg eintreten werden. Dann lernt sie einen jungen Mann kennen und lieben, der bei der Armee ist. Er ist ebenfalls Jude und Emigrant, hat sich aus einfachen Verhältnissen aber hochgearbeitet, denn er ist technisch und mathematisch begabt. Wird er aber den Anforderungen der Familie genügen? Ab und an habe ich den Eindruck, dass das Selbstgefühl der Eltern durch deren Stand in Deutschland bestimmt wird. Dass sie nicht mehr zur wohlsituierten Mittelschicht gehören, haben sie gedanklich noch nicht verarbeitet. Karl begreift das eher und sieht das wesentlich realistischer wie seine Frau Martha. Es gibt im Buch viele tiefgründige Gespräche. Als Ruth sich mit Ilse unterhält, fasst Ruth zusammen: „...Aber unsere Eltern und unsere Großeltern, unsere Familien haben schon immer in Deutschland gelebt und das Land aufgebaut, gestaltet und geformt. Wir sind ein Teil davon. Das wollen uns die Nazis nicht zugestehen. Sie nehmen uns nicht nur das Eigentum, sondern auch unsere Wurzeln...“ Gut beschrieben werden ebenfalls die jüdischen Feiertage und ihre Hintergründe. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es rundet die Geschichte der Familie, die zum großen Teil real ist, perfekt ab.