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Marc Lippuner

Posted on 30.8.2020

Berlin 1922: Die Gegend zwischen Gleisdreieck und Winterfeldtplatz ist das Revier der jungen, aufgeweckten Hebamme Hulda Gold, die hier zahlreichen Kindern auf die Welt verhilft. Als eine der schwangeren Frauen, die sie betreut, anzweifelt, dass ihre Nachbarin, eine ältere Prostituierte, die ertrunken im Landwehrkanal gefunden wurde, Selbstmord begangen hätte, fängt Hulda an sich umzuhören. Nachdem der ermittelnde Kommissar Karl North den Fall aus sehr persönlichen Gründen allzuschnell zu den Akten legen will, verstärkt Hulda ihre Recherchen und bringt sich mit ihrer Hartnäckigkeit in mehr als nur eine brenzlige Situation und den Kommissar um seinen Verstand. Mit Fräulein Gold hat nun auch der Rowohlt-Verlag eine Romanreihe im Programm, die das Berlin der 1920er-Jahre lebendig werden lässt. Anne Stern gelingt es vortrefflich, die gerade erst groß gewordene Stadt in der Zeit der jungen Weimarer Republik zwischen Vergnügungssucht und Armut zu verorten: So wird in Jazzclubs wild getanzt, gepanschtes Koks konsumiert und am Wannsee die neueste Bademode vorgeführt. Zugleich beschreibt die Autorin eindrücklich die elende Seite der Stadt: von den ärmlichen Wohnverhältnissen im berüchtigten Bülowbogen über Obdachlosigkeit bis hin zur geistigen Zerrüttung zahlreicher Kriegsheimkehrer. Die detailgenauen Schilderungen der damaligen Lebenswirklichkeit, die auch realpolitische Ereignisse aufgreifen, trösten darüber hinweg, dass der Romanheldin bei manchen Nachforschungen die Antworten etwas zu zufällig in den Schoß fallen. Wer die Romane von Volker Kutscher, Susanne Goga und Joan Weng mag und sich immer wieder gerne im Berlin vor 100 Jahren wiederfindet, wird an der Fräulein Gold-Trilogie sicherlich seine Freude haben.

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