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mrs.misery

Posted on 28.8.2020

Wie für King unabdingbar, entführt uns der Autor nach Maine - genauer gesagt nach Derry. An diesem Ort scheinen alle 27 Jahre schreckliche Dinge zu geschehen. Doch von vorn.. Die Kleinstadt im Norden der USA ist zunächst nicht sonderlich erwähnenswert. Bis zu jenem schicksalhaften Tag, der einem kleinen Jungen namens George das Leben kosten wird.  Mit einem selbst gebastelten Papierboot seines Bruder William bewaffnet, macht George sich auf in den strömenden Regen, um sein Schiffchen in freier Wildbahn zu testen. Es verschwindet in einem Gully.  Als George sein Papierboot herauszuholen versucht, taucht ein Clown auf - mit seinem Boot in der Hand. Pennywise zieht ihn in die Kanalisation und nimmt ihm das Leben. Bereits in diesem ersten Kapitel wird deutlich, wie schnell King die LeserInnen in die richtige Atmosphäre zu versetzen vermag. Detaillierte Beschreibungen der Umwelt und Handlungen lassen keinen Raum für subtile Andeutungen. Dass dem kleinen Jungen Georgie der Arm abgerissen wird, ist keine verblümte Sprache, sondern der Beginn eines waschechten Horror-Romans.  Doch Georgie ist nicht der einzige Junge, der verschwindet. Immer öfter werden Kinder vermisst und tot aufgefunden - eine Ausgangssperre wird verhängt.  Doch die ändert nichts daran, dass auch den Protagonisten schreckliche Dinge widerfahren. Bill Denbrough, Mike Hanlon, Ben Hanscom, Beverly Marsh, Stan Uris, Richie Tozier und Eddie Kaspbrak lernen sich circa mit 11 Jahren kennen und werden Freunde - nicht zuletzt, weil jedeR von ihnen etwas an sich hat, wofür er/sie gemobbt wird.   Und sie verbindet noch eine Gemeinsamkeit: JedeR von ihnen sieht Dinge, die andere nicht sehen können - und diese Dinge wollen sie töten. Als die Freunde herausfinden, dass dieses „Es“ alle 27 wiederkehrt um zu morden beschließen sie das Böse zu töten, welches in der Kanalisation wohnt, in der auch der kleine George ums Leben gekommen ist.  Im Glauben, dieses Ziel erreicht und den immer wieder kehrenden Zyklus durchbrochen zu haben, gehen die Protagonisten ihre Wege. Bis sie schließlich 1985 - 27 Jahre später - alle einen Anruf erhalten: „Es“ ist wieder da und der Schrecken ihrer Kindheit lässt sich nicht in Ruhe.  „ES“ ist nicht erst seit der Neuverfilmung aus dem Jahr 2017 in aller Munde - obschon das Buch dadurch eine wohl noch größere Berühmtheit erlangt hat. Denn 27 Jahre nach dem Originalfilm kann es nun eine neue Generation Horrorfans anziehen.  Mit über 1500 Seiten könnte dich das Buch zunächst abschrecken, doch solltest du es unbedingt gelesen haben, sofern du Fan des Horror-Genres oder Stephen King bist. „ES“ gehört m.E. definitiv zur Grundausstattung. Die Darstellung der Charaktere ist so explizit, dass man als LeserIn fast den Eindruck gewinnt, die Figuren wirklich zu kennen. Das, und das wird für viele ein Negativpunkt sein, weitet King jedoch  auch auf Nebencharaktere und deren Handlungen aus. Auch diese Figuren werden mitsamt ihren Aktionen seitenlang beschrieben. Das raubt mir persönlich etwas die Spannung, da das Erzähltempo deutlich verlangsamt wird. Und es nagt, zumindest in meinem Fall, auch an der Konzentration. Da man schließlich noch nicht weiß, inwiefern diese Sequenzen wichtig für den Rest des Buches werden könnten, ist man gewillt, sich so viele der Informationen zu merken. Dass das nicht klappen kann, ist kein Geheimnis.  Dennoch erzeugt gerade der Clown Pennywise, zu dem wohl jedeR mittlerweile ein Bild im Kopf haben dürfte, eine ungeheuerliche Stimmung und letztlich auch Spannung, die ein Weglegen des Buches unmöglich macht.  Obschon der hohen Informationsdichte ist ein Verlieren des roten Fadens kaum möglich. Dafür werden die Beziehungen zu den Protagonisten zu schnell aufgebaut und diese Bindung bildet letztlich auch das Grundgerüst, an der sich der Roman entlang hangelt.  King versteht es wie kaum ein zweiter Schriftsteller, aus Wörtern Bilder zu formen, die sich tief ins Gedächtnis brennen. Nicht zuletzt durch die psychologischen Tricks, die hier angewendet werden. Der Autor spricht in „Es“ die Urängste eines jeden Menschen an und vermag trotz großer Entfernung das Urvertrauen eines jeden Individuum in seinen Grundfesten zu erschüttern.  Auch der Aufbau des Buches kommt den LeserInnen sehr entgegen. Da Buch ist in fünf Teile gegliedert, jeweils mit diversen Unterkapiteln und immer unterbrochen von so genannten „Zwischenspielen“ in Derry. So wird uns der zu Anfang erschlagende Roman in angenehm kleinen Häppchen serviert. Und auch die Zeitsprünge zwischen 1958 und 1985, sowie die Sprünge der unterschiedlichen Erzählperspektiven werden keine Verwirrung stiften, denn auch hier kommt uns der Autor entgegen und betitelt die Abschnitte und Unterkapitel so, dass wir sofort in die neue Sequenz eintauchen können.  Die Moral der Geschichte ist wohl der alte Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Das böse „Es“ konnte nur durch den Zusammenhalt der Freunde besiegt werden, weil Werte wie Freundschaft und Liebe schwerer wiegen als die Taten des Bösen. Und obwohl das Buch wohl mehrheitlich und völlig berechtigt dem Horror-Genre zugeordnet wird, darf nicht unerwähnt bleiben, dass „Es“ zusätzlich auch ein Entwicklungsroman ist - genauer gesagt ein eindrucksvoller Coming-of-Age-Roman.  Im Mittelpunkt stehen nämlich die Entwicklungen der Protagonisten von Kindern zu Erwachsenen, mit all jenen Ängsten und Problemen, die sich das Unterbewusstsein dazu ausdenken kann.  (Vielleicht ist der Titel des Buches auch eine Anspielung auf die Freud'sche Theorie der Teilung des Unterbewusstseins in Es/Ich/Über-Ich?) All diese offensichtlichen und weniger offensichtlichen Punkte sind es, die King zu dem machen, was er ist: Die unangefochtene Nummer eins im Horror-Genre.

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