mrs.misery
Ein sternenklarer Himmel an einem lauschigen Abend irgendwo in Berlin. Du sitzt gemütlich auf deiner Veranda und lässt die Seele baumeln. Ein Gedanke hier, ein Gedanke dort – bis du völlig entspannt wieder zurück ins Haus gehst, um mit einem Lächeln dein Werk zu vollenden. Lang genug hast du dich zurückhalten können, um so viel Freude wie möglich mit deinem Spielzeug zu haben. Doch nun.. Nun setzt du im grellen Neonlicht dem jungen Mann den finalen Todesstoß. An einem Haken baumelte er lang genug. Seine Augen könnten nicht noch weiter anschwellen. Der Blutverlust wurde sowieso langsam kritisch. Der Prolog zu Roxann Hills „Dunkelland“ ist alles andere als leichte Kost. Brutal und verstörend werden die LeserInnen ohne Umschweife in die Tiefen der mörderischen Seele eingeführt und verbleiben mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, bis der Hauptstrang zu erzählen beginnt. Carl von Wuthenow ist ein intelligenter und mehr als gut situierter Mann. Mit jahrelanger Erfahrung beim FBI in den USA ist er mittlerweile als Berater für die deutsche Kriminalpolizei tätig. Wäre da nicht ein kleines Problem: Seit einem „Unfall“, bei dem Teile seines Hirns geschädigt wurden, vergisst Carl alles, was er seit diesem Unfall erlebt hat. Sein Gedächtnis fängt nach jedem Schlaf von vorne an. Ohne die allabendlichen Notizen über die Erlebnisse ein kaum zu meisternder Alltag. Dabei unterstützen soll ihn Verena Hofer. Plötzlich Erziehungsberechtigte für ihre verwaiste Nichte, braucht sie dringend Geld und bezieht mit dem Wissen, eine therapeutische Unterstützung für einen kleinen Jungen namens Carl zu sein, das Gut Wuthenow. Schnell wird eines besseren belehrt und in die polizeilichen Ermittlungen eines zu Tode gequälten jungen Mannes involviert. Sie dient Carl fortan nicht nur als Gedächtnisstütze, sondern entwickelt sich zu einer waschechten Ermittlerin – Ein unverhoffter Jobwechsel mit viel Potenzial. Der Schreibstil ist angenehm einfach. Eine lückenlose, chronologische Erzählweise machen die Handlungen authentisch und vermitteln das Gefühl, stets ein Teil der Ermittlungen zu sein. Hill braucht auch keine verschachtelten Sätze, blutrünstige Beschreibungen oder eine auf Teufel komm raus konstruierte Geschichte. Mit gut eingesetzten Stilmitteln gelingt es der Autorin schnell, die LeserInnen mit den Protagonisten sympathisieren zu lassen. Und die Thematik? So modern und aufgeklärt unsere Gesellschaft in weiten Teilen des Landes auch sein mag: Es gibt immer noch Tabuthemen, über die nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Und die Zensur darüber nur weiter verstärkt. Kinder- und Jugendprostitution beispielsweise, betrieben von geflüchteten Jungen, die ihre zurückgebliebenen Familien zu unterstützen versuchen. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht – die Ausbeutung von Schutzbefohlenen passiert jeden Tag und jede Nacht. Nur wird darüber ungern gesprochen. Diese Problematik zum Gegenstand eines Krimis zu machen ist couragiert, ungewöhnlich und gerade deswegen von solcher Bedeutung. Roxann Hill schafft es, auf subtile Art und Weise dem Fremdenhass Einhalt zu gebieten und verliert dabei weder die eigentliche Handlung, noch die Protagonisten aus den Augen. Im Gegenteil. Verena und Carl werden alsbald zu stark konturierten Persönlichkeiten, deren Gedanken charmant und vor allem nachvollziehbar sind. Meines Erachtens ist dies ein mehr als gelungener erster Fall eines ungewöhnlichen Ermittlerduos, welcher lediglich durch die mehr als klassische Vorgehensweise (Ein Toter, die Ermittlungen beginnen, weitere Tote, Ermittlungen kommen voran, Twist, TäterInnen werden überführt etc.) einen sanften Dämpfer erleidet. Der Spannungsbogen ist demnach ebenfalls vorhersehbar, aber dennoch vorhanden und ausreichend für einen guten Krimi. Das Ende lässt definitiv auf einen zweiten Band hoffen.