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Wie fast alle amerikanischen Schriftsteller träumt vermutlich auch Stephen King davon, einmal den Großen Amerikanischen Roman zu schreiben. Mit Der Anschlag beweist er, dass er auf dem besten Weg dahin ist. Von seiner Paradedisziplin, dem phantastischen Roman mal mehr, mal weniger mit Horrorelementen gespickt - ist er weiter entfernt denn je. Schon sein letzter großer Roman Die Arena (2009) war bis auf die namensgebende Energiekuppel (The Dome) ein durchgehend realistischer Thriller, der einen Kleinstadt-Bürgerkrieg der besonderen, der King'schen Art beschreibt. Auch die Kurzroman-Sammlung Zwischen Nacht und Dunkel (2010) thematisiert schwerpunktmäßig verschiedene Aspekte ganz individueller menschlicher Abgründe, die keiner phantastischen Ausschmückung bedurften. Wir erinnern uns, in den 1980er Jahren hatte Stephen King eine Phase, in der er unter dem Pseudonym Richard Bachmann mehr Crime- als Phantastic-Fiction schrieb. Der Anschlag lässt sich in keine Schublade pressen. Er ist sowohl Gesellschafts- und Liebesroman als auch Historiengemälde und Polit-Thriller, fest verankert in der amerikanischen Wirklichkeit. Vor allem aber ist er ein typischer Stephen-King-Roman, in dem der Autor einmal mehr seine ganze schriftstellerische Finesse offenbart. Mit diesem Roman wird sich Stephen King ein neues Publikum erschließen. Spannungsliteratur, die Genre-Grenzen überschreitet, ist auf der Krimi-Couch gut aufgehoben, deshalb präsentieren wir eins der Aushängeschilder der Phantastik hier bei uns und zollen dem Thriller-Autor King Tribut. Der amerikanische Titel des Romans lautet 11/22/63, der 22. November 1963, ein Datum, das vielen Amerikanern nicht mehr geläufig sein, den älteren unter ihnen allerdings unvergesslich bleiben wird. Die Ermordung des amerikanischen Präsidenten in Dallas, Texas durch Lee Harvey Oswald löste eine Schockwelle aus, die weit über die Grenzen der USA spürbar war. Hier ist nicht der Ort, um über Kennedys politische Ambitionen zu befinden. Ihn als Hoffnungsträger zu bezeichnen ist eher eine posthume Verklärung. Was reformfreudige Präsidentschaftskandidaten versprechen und was sie davon halten können, zeigt sich aktuell an Barack Obama. Sagen wir mal so: John F. Kennedy und seine Frau Jackie erfreuten sich damals breit gestreuter Sympathien, und das Amt des amerikanischen Präsidenten ist per se sakrosankt, deshalb kam seine Ermordung einem nationalen Armageddon gleich, das in etwa dieselbe Wirkung auf das Land hatte wie der 11.September 2001. Wäre die Welt eine bessere, wenn das Attentat auf Kennedy hätte verhindert werden können? Mit dieser Frage beschäftigt sich Stephen Kings Romanheld Jake Epping. In der festen Überzeugung, dass dem so sei, macht er sich auf in die Vergangenheit.