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mrs.misery

Posted on 27.8.2020

Klassischerweise beginnt auch dieser Psychothriller von Fitzek mit einem Prolog, den man in den ersten Augenblicken noch nicht recht einzuordnen vermag.  Die kleine Emma schleicht sich eines Nachts völlig verängstigt in das Schlafzimmer ihrer Eltern – denn in ihrem Schrank lauert wieder der gruselige, fremde Mann. Ihre Eltern kennen das schon. Emmas Fantasie geht wieder einmal mit ihr durch - das wird sich verwachsen. Und das tat es. 28 Jahre später, das selbstreflektierte Denken gelernt, ist ihr Interesse an der menschlichen Psyche ungebrochen.  Sie ist Psychiaterin geworden und hilft ihren KlientInnen durch die schwersten seelischen Erschütterungen.   Doch auch PsychologInnen sind nicht vor psychischen Erkrankungen geschützt. Und schon gar nicht, wenn sie ein schweres Trauma zu verarbeiten haben: Emma wurde während es eines Kongresses in ihrem Hotelzimmer überrascht und vergewaltigt. „Das Problem mit psychischen Erkrankungen war die Unmöglichkeit von Selbstdiagnosen. Sein Gehirn mit dem eigenen Gehirn verstehen zu wollen, war in etwa so erfolgversprechend wie der Versuch eines einarmigen Chirurgen, die eigene Hand wieder anzunähen.“ (S.142) Emotional völlig instabil und verängstigt, gelingt es ihr nicht mehr das Haus zu verlassen, geschweige denn ihren Alltag allein zu meistern.  Da ihr Mann Philipp beruflich oft unterwegs ist, ist sie auf den Postboten angewiesen – denn er ist ihr Kontakt zur Außenwelt und bringt ihr beinahe täglich die georderten Produkte aus dem Internet.  Doch heute bittet sie der Postbote, ein Paket für einen Nachbarn anzunehmen. Für dich und mich wahrscheinlich selbstverständlich, stellt es für Emma ein kaum zu meisterndes Problem dar, denn ihr Peiniger aus der Schreckensnacht ist bis heute auf freiem Fuß – und den Namen des Nachbarn hat sie noch nie gehört. Dieses Setting ist vor allem für all diejenigen unter uns interessant, die besonderen Wert auf das „Psycho“ in „Psychothriller“ legen.  Denn zunächst wird erst einmal das Urvertrauen der Protagonistin und somit auch das der LeserInnen schwer in Mitleidenschaft gezogen: Ein sexueller Missbrauch und das anschließende Rasieren des Kopfes als Zeichen der Aberkennung der Weiblichkeit, sind wohl zwei der intimsten Eingriffe in die Privatsphäre und Würde eines jeden Menschen. Hier bedarf es dann auch keiner detaillierten Beschreibungen: Fitzek setzt voll und ganz auf die Fantasie der Leserschaft.  So wird gleich zu Anfang ein Gänsehautmoment geschaffen, dessen Nachwehen sich das komplette Buch hindurch schlängeln. Ein mulmiges Gefühl breitet sich langsam und bedächtig aus und wird durch das sich langsam aufbauende Spannungsgefüge noch verstärkt. Denn, anders als bei anderen Geschichten des Autors, fährt die Story meines Erachtens relativ langsam hoch. Die ersten 100 Seiten mögen die LeserInnen in die richtige Stimmung versetzen, die typischen Cliffhanger und die damit verbundene kaum auszuhaltende Spannung, beginnt erst danach richtig Fahrt aufzunehmen. Doch ab diesem Wendepunkt geht es dann auch richtig los.  Dauerhaft hat man als LeserIn das Gefühl, dass sich der Plot bereits am Höhepunkt befindet, bevor Fitzek den nächsten Twist einfügt.  Omnipräsent ist die Frage nach dem Täter. Zwischenzeitlich wirst du einfach jeden verdächtigen und am Ende trotzdem überrascht sein.  Leider ist dieses Hochgefühl nicht auch auf die Protagonistin zu übertragen. Obschon sie in der Theorie aufgrund ihres Werdegangs eine spannende Person ist, hatte ich persönlich so meine Probleme, einen Zugang zu ihr zu finden. Manche ihrer Handlungen waren nicht recht stimmig und wirkten auf mich nicht rund. Emma ist meines Erachtens eine zu stark konstruierte Person, die dadurch an Glaubwürdigkeit verliert – oder andererseits durch ihre übertriebene Paranoia an den Nerven zerrt.  Der Schreibstil ist angenehm einfach. Wer auf eine gehobene Sprache und verschachtelte Sätze Wert legt, wird enttäuscht werden. Fitzeks Bücher sind und bleiben Storys für jeden.  Clever gelöst ist im hiesigen Fall auch die Perspektive der Erzählung.  Wir finden nämlich Kapitel, die zum Zeitpunkt x spielen, nämlich genau dann, als die ganze Story um das ominöse Paket losgeht. Und andere Kapitel spielen wiederum drei Wochen später, als die Protagonistin diese Ereignisse einem Anwalt erzählen muss. Eine Geschichte in der Geschichte sozusagen. Und das hat einen guten Grund.  Wie oben erwähnt, ist das Ende wieder einmal großartig – da einfach nicht vorauszusehen.  Wenn du dich an die Story aus „Der Nachtwandler“ erinnerst, kann ich dir ohne zu spoilern verraten, dass du dir auch hier keine große Mühe machen musst, den letzten ausschlaggebenden Twist vor Beendigung des Buches vorherzusehen.  Und genau das ist es doch, was einen Psychothriller zu einem GUTEN Psychothriller macht, nicht wahr?

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