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mrs.misery

Posted on 26.8.2020

Die wenigsten von uns können wohl von sich behaupten, als Kind von einer eigens angestellten Nanny betreut worden zu sein. Ob das positiv oder negativ ist, muss natürlich jede*r für sich selbst beurteilen.  Doch für Familie Holt wäre das Fehlen einer Nanny oder einer Haushälterin fast schon eine Missetat und mit Scheitern gleichzusetzen.  Sich Bedienstete leisten zu können, ist ein Zeichen von Prestige und Macht - zumindest in der Gesellschaftsschicht, in der das Drama des neuen Romans von Gilly Macmillan spielt.  Wohnhaft in einem gehobenen englischen Cottage, haben Lady Virginia und Lord Alexander Holt alles, wovon sie nur träumen können: Ansehen, Geld, Antiquitäten und vor allem eine zauberhafte kleine Tochter - Jocelyn.   Da es ihr an nichts fehlen soll, beschließen ihre Eltern von ihrer Geburt an ein Kindermädchen anzustellen, das nicht nur aufgrund des verfrühten Todes ihres Vaters zu einer immer wichtigeren Bezugsperson für Jocelyn wird. Über 7 Jahre verbringen sie jeden Tag so viel Zeit zusammen, dass die Nanny zu einer Ersatzmutter für das Mädchen wird, denn ihre leibliche Mutter Virginia scheint nicht viel für ihre Tochter übrig zu haben.  Doch plötzlich verschwindet die Nanny von einem Tag auf den anderen - ein Schock für die Familie. Jocelyn wird erwachsen, verkraftet irgendwann den herben Verlust ihrer geliebten Nanny und beginnt ihr eigenes Leben, fernab ihrer Heimat und ihrer kaltherzigen Mutter.  Als jedoch 30 Jahre später ein Schädel im See vor dem englischen Cottage gefunden wird, führen Jocelyns Wege zurück in ihr Elterhaus. Und plötzlich taucht auch die verschwunden geglaubte Nanny wieder auf - wenn man dieser fremden Frau denn trauen kann?  "Die Nanny" ist mein mittlerer vierter Roman der Autorin Gilly Macmillan. Auch wenn er meiner Meinung nach nicht ganz mit den anderen drei Bänden ("Toter Himmel", "Perfect Girl", "Bad Friends") mithalten kann, ist die Story ein echter Pageturner. Das Setting konnte mich hier nicht ganz überzeugen. Mit Lordschaften im reichen England kann ich mir nur wenig identifizieren und fand einige Passagen, in denen die starren Strukturen dieser Gesellschaftsschicht im Fokus standen, etwas zäh und befremdlich. Mit den Protagonistinnen wiederum konnte ich sehr viel anfangen. Manipulativ, strategisch und mutig zu sein ist eine explosive Kombination an Eigenschaften, die allen Hauptcharakteren gemein ist. Aus dem anfangs harmlos wirkenden Roman entwickelt sich ein spannendes Familiendrama, das sukzessive alle scheinbar bestehenden Fakten aufweicht und durch langfristig geplante Wendungen der Story immer wieder neuen Zündstoff liefert.  "Die Nanny" hat, wie die vorherigen Veröffentlichungen der Autorin, einen Hang zum Thriller, verzichtet aber auf die reißerischen Cliffhanger zum Ende eines jeden Kapitels, sondern setzt viel mehr auf die unterschwelligen Geschehnisse, die die LeserInnen zwischen den Zeilen erkennen können.  Bewährt hat sich auch wieder die Erzählstruktur des Romans: Auch wenn das Ende keine enorme Überraschung bereit hielt, führt das Erzählen der Story aus den unterschiedlichen Sichtweisen der ProtagonistInnen automatisch zu einem Schwelbrand, der sich so schnell nicht löschen lässt.

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