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Bris Buchstoff

Posted on 26.8.2020

Zehn Jahre lang war Anne-Sophie Monrad auf den Laufstegen der Welt zuhause, lief für Modeschöpfer wie Karl Lagerfeld, Jean-Paul Gaultier oder Givenchy, hatte in New York, Tokyo und Paris gelebt, als sie 2018 wusste, dass sie ihr Leben ändern musste. Die Jahre, die sie als Top-Model gearbeitet hatte, hatten bereits körperlich und auch seelisch ihre Spuren hinterlassen. Natürlich war nicht alles schlecht gewesen, Anne -Sophie hat ihren Traum von einer Modelkarriere verwirklcihen können, gutes Geld verdient, viele schöne Erinnerungen und spannende Begegnungen erlebt. Nichts davon möchte sie missen – und gerade deshalb hat sie sich dazu entschlossen, ihre Erfahrungen in der Welt der Mode in einem Buch niederzulegen. Wenn man sich Besprechungen oder Artikel darüber ansieht, fällt auf, dass häufig das Wort „Abrechnung“ darin auftaucht – ein Wort, das meiner Meinung nach zu reißerisch ist für das kluge Konzept des Buchs und den Wunsch, den Anne-Sophie Monrad hat: Das Model-Business – und das ist, was das Modeln auch ausmacht, Geld, Macht und Professionalität – soll transparenter, wertschätzender und menschlicher werden. Und datz gehört auch, dass sie selbst sich nie mehr auf 53 Kilogramm bei einer Grüße von 1,81 m herunterhungern wird. Denn neben all den schönen Erinnerungen und dem Glamour waren ihre zehn Jahre in der Welt der Topmodels vor allem eines: Hungerjahre. "Ich hatte eine tolle Karriere mit guten Jobs, von denen andere Models tatsächlich träumen. Da war immer Licht, aber eben auch ganz viel Schatten." In Shape Anne-Sophie wird wie viele junge Mädchen – und das sind die meisten Models tatsächlich, wenn sie heutzutage mit circa 14 Jahren entdeckt werden – ins kalte Wasser geworfen. Nach einem Modelwettbewerb im ortsansässigen Einkaufszentrum, den sie zwar nicht gewinnt, aber nach dem sie von einem Mitarbeiter der veranstaltenden Agentur angesprochen wird, ob sie nicht Lust habe, sich bei ihm zu melden, geht es recht fix los. Es werden erste Fotos gemacht, sie wird gemessen – ein Vorgang, der sich im Lauf ihrer Karriere sehr häufig wiederholen wird und sie zum Teil sehr zwiespältig zurücklässt – und ihr selbst wird immer wieder gesagt, sie könne die nächste Toni Garrn sein. Aber sie müsse vorher „in shape“ sein. Konkret heißt das, abnehmen – insgesamt werden es in ihrer Modelkarriere 12 cm Hüftumfang sein, die sie verlieren wird. Damit gehen aber durchaus gesundheitliche Risiken einher. Über Jahre hinweg wird ihre Periode ausbleiben – ein Umstand, der vielen Frauen auf den ersten Blick nicht unangenehm vorkommen wird, aber auf Dauer mehr als ungesund ist – und ihre Knochendichte wird viele Jahre zu früh, der einer Frau in den Wechseljahren gleichen. Auch die inneren Organe leiden unter dem jahrelangen Hungern. Ohne helfende Hand im kalten Wasser des Business Doch was Anne-Sophie Monrad am meisten vermisst – neben ihrer Familie – ist eine helfende Hand. Das Business ist komplett auf Konkurrenz ausgelegt, ohne Job ist man kein Model, sondern nur irgendwer und als sie zum ersten Mal von ihrer Agentur nach New York geschickt wird, ist ihr vieles nicht klar. Niemand hat ihr gesagt, dass sie 10-12 Castings am Tag haben wird, die sie mit Hilfe eines Stadtplans finden muss, dass es besser ist, die Highheels einzupacken und erst vor Ort anzuziehen, und dass es sein kann, dass keines dieser Castings zu einem Job führt. Auch weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie zunächst einmal eine Menge Schulden aufbaut. Der Flug, das Zimmer – meist in einer Modelunterkunft, einfach möbliert und von mehreren jungen Frauen bewohnt – das immens teuer ist, all das streckt die Agentur erst einmal vor. Die Kosten dafür werden dann vom Lohn der Jobs, also von dem abgezogen, was dann noch übrig bleibt, wenn die Agentur ihre Prozente erhalten hat, getilgt. Ein Geschäft eben, was nicht schlimm wäre, wenn von Anfang an transparent gemacht würde, was das heißt. Anne-Sophie Monrad macht ganz klar, dass sie den Agenturen nur zum Vorwurf macht, dass diese Vorgehensweise nicht deutlich angesprochen wird. Oft geben die Agenturen den jungen Frauen auch Tipps, wie „lass Dich am Flughafen von einem Fahrer abholen“, was ja vor allem einleuchtet, wenn man neu in einer Stadt ist. Dass das aber dann mit 200 Euro zu Buche schlagen wird, davon ist nicht die Rede. Der Preis des Modelns Anne-Sophie Monrad sieht heute, dass das Verhältnis zu ihrer Agentur immer ambivalent war. Einerseits sehr freundschaftlich und familiär und andererseits ein knallhartes Business. Ihr ist klar, dass eine Agentur auch Geld verdienen muss, denn ihre Agenten und Booker sind es ja letztendlich, die den Models die Jobs erst einmal ermöglichen. Sie sind im wahrsten Sinn die Gatekeeper der Branche. Doch wie überall kommt es auf das richtige Maß an und kritisch kann es durchaus werden. " … wenn die Agentur mehr als 25 Prozent Servicepauschale einbehält und im Namen des Models Ausgaben tätigt, ohne das explizit abgesprochen zu haben, vor allem auch, was die Höhe der Ausgaben angeht. Wenn ein Booker mit dir eine halbe Stunde inSecondhandläden shoppen geht, damit du den richtigen Look für Castings hast, und anschließend 300 Euro auf deiner Abrechnung stehen für 30 Minuten Beratung und einen Rock, eine Bluse und eine Jeansjacke – alles gebraucht – das ist schlichtweg überzogen. Wenn du in einem Modelapartement mit neun anderen Frauen lebst, dir mit vier von ihnen ein Zimmer teilst und dafür 1500 Dollar im Monat zahlen musst, dann ist das schlicht Wucher – selbst in einer teuren Stadt wie New York." Eigene Gesetze Anne-Sophie Monrad hat, um ihre eigenen Erlebnisse und Gedanken in einen größeren Rahmen zu stellen und deren Relevanz zu überprüfen, Menschen aus der Branche gefragt, wie sie das Business sehen. Während der Blick des Fotografen Kristian Schuller auf die Branche in manchen Punkten gar nicht gleicht, sieht Wolfgang Joop die Eigenheiten der Modewelt im Fokus. Schuller hat sich, seit er einst für die große Vivian Westwood shooten durfte, geschworen, deren Maxime, immer freundlich zu sein, zu beherzigen. Als einem der Models das Kleid, das es für das Shooting tragen sollte, nicht passte, reagierte Westwood für Designer unüblich, indem sie das Model nicht vor allen Anwesenden schlecht machte – was im übrigen in der Branche häufiger der Fall zu sein scheint – sondern mit dem Satz „I think, we’ll find a better one for you.“ Dennoch findet er, man sollte nicht nicht den Blick auf die Negativbeispiele in der Branche legen – ein grundsätzlich anderer Ansatz als der von Monrad, die im schlechten Benehmen von Fotografen, Agenten, Bookern oder auch Designern den Models gegenüber ein strukturelles Problem der Branche erkennt, das sie gerne lösen möchte. Wie bei Schuller fällt auch Wolfgang Joops Blick auf die Branche anders aus – er mahnt zu Vorsicht vor falschen Komplimenten und erinnert daran, dass nicht jede Ablehnung begründet sein muss aber auch daran, dass man sich dem Diktum der Haute Couture nicht zwangsweise unterwerfen muss, sondern der Modelberuf eine bewusste Entscheidung dafür ist. Jacob Mohr, der früher Booker in einer Modelagentur war, hat jedoch seinen Job aus den von Monrad genannten Gründen gekündigt und arbeitet nun in Schweden als Art Buyer. Er beschreibt die Branche in Schweden als sehr viel wertschätzender den Models gegenüber und ist sich mit Monrad einig: Der Wechsel muss von oben kommen. Es geht auch anders Mittlerweile gibt es auch Allianzen und Aktivisten in der Branche, die für eine Verbesserung der Umstände eintreten und Anne-Sophie Monrad zum Beispiel hat den Entschluss gefasst, nur noch für Kunden zu arbeiten, die sie so nehmen wie sie nun ist. Sie lässt sich nicht mehr messen, und versucht durch ihr Buch Einfluss zu nehmen. Ihre eigenen Erlebnisse sind die Basis für ihre Bemühungen, für junge Menschen, die gerne Fuß Im Modelgeschäft fassen möchten, ihnen klar zu machen, auf was sie sich einlassen und wie sie sich vor seelischen Verletzungen und körperlichen Schädigungen schützen können. Dabei bleibt sie immer professionell und sachlich, denn die Kritik, die sie übt, ist durchaus berechtigt und auch auf andere Bereiche der Arbeitswelt zu übertragen. Nur ist der Modelberuf einer der am meisten von außen gesteuerten und damit eben auch mit Bewertungen verbunden, die gerade für junge Menschen schwerwiegende Folgen haben können. Ein kluges, spannend geschriebenes, sachliches, fundiertes Buch, das einen anderen Blick auf die schöne Welt der Mode freigibt. Absolute Leseempfehlung.

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