sinnesgleich
“Kneeling before me, he lays his head on my lap and says, ‘I’m going to ruin you.” Im Schutz der Dunkelheit eines Schulballs sagt er ihr das er sie küssen möchte. Er leiht ihr Bücher und Gedichte aus, die ihn an sie erinnern. Im Unterricht legt er ihr unter dem Tisch heimlich die Hand auf den Oberschenkel. Dann nimmt er sie mit zu sich nachhause. Sie ist fünfzehn, er zweiundvierzig Jahre alt und ihr Englischlehrer. Die Geschichte ist nicht leicht zu lesen. Die Geschehnisse so verstörend, dass ich es immer wieder mal aus der Hand legen musste. Meine Gefühle ein Schwanken zwischen Fassungslosigkeit, Wut und etwas das an dieser Stelle völlig unangebracht zu nennen scheint: Verständnis. Verständnis für ein genauso frühreifes wie naives Mädchen das ihrem charismatischen und manipulativen Lehrer Jacob Strane in die Falle geht. Er ist gewieft und weiß genau welche Knöpfe er drücken muss um sie gefügig zu machen. Er nutzt Vanessas Unerfahrenheit, separiert sie von ihren Klassenkameraden und gibt ihr das Gefühl etwas besonderes zu sein. Für ihn ist sie die Manifestation seiner dunkelsten Begierden, für sie ist er die große Liebe. Die Geschichte wechselt stets zwischen zwei Zeitebenen. Sie erzählt von Vanessas Schul- und Collegezeit, dann von ihrem Erwachsenenleben. Dieser sich dadurch abzeichnende Kontrast zwischen der vermeintlichen Liebesbeziehung und den daraus entstandenen Schäden wird dadurch umso greifbarer. Russells Schreibstil ist unverblümt und direkt. Die verschiedenen Nuancen der Manipulation und des daraus entstanden psychischen Schadens werden fein und scharfsinnig beschrieben. Auch die Referenzen zu Nabokovs "Lolita" waren überaus passend gewählt und geschickt in die Handlung eingewoben. “Because if it isn’t a love story, then what is it”? I look to her glassy eyes, her face of wide open empathy. “It’s my life,” I say. “This has been my whole life.” "My Dark Vanessa" ist ein absolut grandioses Debüt. Auch wenn das Thema nichts für schwache Nerven ist, ist das Buch absolut lesenswert und wichtig. Es zeigt einmal mehr wie gefährlich es sein kann die Augen zu verschließen und kritisiert ganz nebenbei ein oft als unfehlbar betrachtetes System und eine Gesellschaft die Männern noch heute mehr Glauben schenkt als Frauen.
