Lenislesestunden
Ellen ist sechzig und hält sich mit Nebenjobs wie Zeitungen austragen und Nachhilfe geben über Wasser. Ihr Mann ist früh verstorben, die beiden Söhne sind längst aus dem Haus, und Gesellschaft leistet ihr hauptsächlich ihr Hund. Sina ist Mitte dreißig und versucht, trotz ihres anstrengenden Jobs ihrem Sohn Elvis gerecht zu werden. Von dessen Vater ist sie getrennt, doch ihr neuer Freund Torsten kümmert sich liebevoll um Elvis - nicht zuletzt, weil er selbst kaum Kontakt zu seinen beiden leiblichen Kindern hat, die bei ihrer Mutter wohnen. Als Ellen beginnt, Elvis zunächst Nachhilfe zu geben, und dann auch in ihrer Freizeit immer mehr Zeit mit ihm verbringt, wenn seine Mutter mal wieder Überstunden machen muss, schließt sie den Jungen immer mehr ins Herz. Umso härter trifft es sie dann, als sie bemerkt, dass es Elvis täglich schlechter zu gehen scheint, er aber nicht aussprechen kann, warum. Auf ganz ruhige, schnörkellose Art wird diese eigentlich recht "alltägliche" Geschichte erzählt. Trotzdem habe ich sie als unheimlich intensiv empfunden, denn die Autorin nimmt sich viel Zeit für die unterschiedlichen Perspektiven von Ellen und Sina und die damit einhergehenden Sorgen und Ängste. Während Sina aufgerieben wird zwischen Job und Familie, kämpft Ellen mit Geldsorgen und der Last des Alters. Sensibel und aufmerksam werden nach und nach Hintergründe aufgedeckt und ich habe mich beiden Frauen sehr nah gefühlt. Der Titel "Wir holen alles nach" passt da unheimlich gut. Eine durchdachte, einfühlsame, interessante Geschichte mit tollem Schreibstil!