wandanoir
Stilistisch zu beanstanden und inhaltlich zu brutal. Kurzmeinung: Würde ich keinem Jugendlichen in die Hand geben. Die Story ist schnell erzählt. Zwei Storylines. Eine 72jährige Überlebende eines Flugzeugsturzes über dem Bitterroot National Forrest, eben „unsere Cloris Windrup“ – und eine derangierte Merlot-abhängige Rangerin Debra Lewis. Der eine Erzählstrang ist ein bisschen bizarr, zum Beispiel wenn Cloris in allen Einzelheiten schildert, wie der schwer verletzte Pilot stirbt und vorher stundenlang ein bestimmtes Lied singt, wie ihr Mann tot im Baum hängt und wie sie Wasser aus dessen abgerissenenem Stiefel trinkt, wie sie ihr Gebiss in einem Fluss verliert und ein kleines süßes Zicklein Erasmus benennt und dann umbringt und aufisst. Aber wenn man einer leicht ironischen, überhöhten Erzählart „Drinnen war es so dunkel wie im Hintern einer Kuh“, etwas abgewinnt, ist der Part wie die alte Dame ums Überleben kämpft, lebendig, lustig, manchmal beinahe spannend. Wenn er nicht so absurd wäre. Aber sei es drum. Der andere Part aber, der die Rangerin Debra Lewis als Mittelpunkt hat, muss man trotz allerhand skurrilem Personal und Einfällen als vollkommen misslungen betrachten. Um sich erzählstil-technisch von dem Cloris-Windrup-Teil abzugrenzen, also in bester Absicht, hat der Autor einfach zu viel getan. Als ich ungefähr zum hundertsten Mal lese, dass Rangerin Debra sich den Merlot von den Zähnen lutscht, tausendmal „gottverdammt“ nuschelt, in wirklich jedem zweiten Satz der Merlot erwähnt wird, oder sogar in jedem ? - gebe ich das Buch auf. Ich mache mir noch einen Spaß daraus, ein wenig nachzulektorieren, und die Flüche und Merlotsätze zusammenzustreichen, aber bin ich Ryes Lektorin? Das beste Gericht schmeckt nicht, wenn man zu viel Salz hineinstreut, das beste Gemälde taugt nichts, wenn man Kerzenwachs drauf träufelt und zu viel Merlot ist eben zuviel Merlot. Von den schrägen Sexszenen muss ich da gar nicht mehr reden. Eines noch: man hat nachgerade den Eindruck, dass der Autor, um bei der abgebrühten ? Jugend zu punkten, möglichst oft, ekelhafte und brutale Szenen einfügt, zum Beispiel, wenn er schildert, wie im strengen Winter ein Eichhörnchen sein gerade geborenes Junges auffrisst und genüßlich am aufgebrochenen Köpfchen schleckt. Schocktherapie? Dafür habe ich so gar kein Verständnis! Fazit: Der Ansatz ist gar nicht übel. Das Thema Flugzeugabsturz und Kampf ums Überleben kriegt mich immer, aber ein Mindestmaß an Stilsicherheit muss sein und unnötige Brutalitäten mag ich auch nicht. Kategorie: Jugendbuch C.H. Beck, 2020