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wandanoir

Posted on 15.8.2020

Sprachlich top, inhaltlich schlank. Jean-Paul Dubois stellt in seinem 2019 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“ in erster Linie das Leben und Schicksal eines Hausmeisters dar, der eines Tages nach einer heftigen Tätlichkeit im Zuchthaus landet. Von dort aus lässt Jean-Paul Dubois seinen Icherzähler Paul die Stationen seines Lebens aufrollen. Dabei ist der Autor durchaus schnurrig. Die Szenen im Zuchthaus sind eindrücklich und stark. Doch das bevorzugte Stilmittel Dubois ist die Überzeichnung seiner Figuren. Es ist schon seltsam, dass der Roman nur dadurch (über)lebt, dass der Hausmeisterheld Paul durchweg von sehr ungewöhnlichen Menschen umgeben ist. Es fängt schon mit den Eltern und deren Herkunft an, seine Mutter ist eine moderne, eigensüchtige Französin, die ein Kino betreibt, sein Vater ein eigenwilliger, aufrechter und sturer Däne, der, eigentlich atheistisch geprägt, protestantischer Pastor in Frankreich und Kanada wird, was zu einigen pseudotragischen Verwicklungen führt und den Protagonisten Paul himself, ethnisch Däne, ins franko-kanadische Montreal verschlägt. Sein Zellengenosse ist ein Hell Angel mit Phobien, seine Frau eine irisch-indianische Fliegerin, und die Menschen, die Paul beruflich trifft, haben ebenfalls entweder ungewöhnliche Berufe oder arge Schrullen. So lebt der Roman vom Zusammenwürfeln der merkwürdigsten Umstände und Menschen. Zu viel für ein einziges Leben. Zu konstruiert für meinen Geschmack. Der Stil schwankt zwischen genialen Vergleichen, Gags bis in die Fingerspitzen (sehr kurze Nebenrollen werden mit den Namen von B-Celebrities besetzt), sprachlichen Verrenkungen, Manieriertheit und triefendem Zynismus. Das ist des Autors zweites Stilmittel, er teilt nach rechts und links aus, immer zynisch, ironisch, durchaus mit klugen, treffenden Beobachtungen. Augenzwinkern oder Tiefschlag? Die Auseinandersetzung mit dem Anvisierten bleibt indes an der Oberfläche. Es wird angerissen, nicht durchbuchstabiert. Das Meiste ist Effekthascherei. Was der Autor sehr gut macht, ist die Darstellung des Scheiterns einer gewöhnlichen Figur. Die Figur des Hausmeisters ist dem Autor dann auch am besten gelungen, ein Spielball seiner Einfachheit, seiner Ideenlosigkeit, seiner passiven Lebensführung, seines Fatalismus; die anderen Protagonisten jedoch sind hauptsächlich witzig, überzogen, skurril, man ist amüsiert, aber sie sind eben auch so überzogen und besonders, dass ihre emotionale Wirkung gegen Null geht. Die Jury des Prix Goncourt argumentiert unter anderem, die geographische Nichtverortung des Protagonisten, wir sind in Frankreich, Dänemark, Kanada und ein bisschen in Irland, zeige das Zeitgenössische. Damit hat sie nicht unrecht. Doch der Autor spielt nur mit diesen Gegebenheiten, er spielt sie nicht aus. Es sind deshalb nur verwirrende und unnötige Komponenten. Das Spielerische des Romans kommt auch in anderen Dingen zum Ausdruck. Die Protagonisten interessieren sich für den Aufbau von Hammondorgeln, für die Herkunft von Lautsprechern, für Kolibris und natürlich für Motorräder. Was auch immer den beiden Zuchthäuslern durch den Kopf schießt, daraus macht der Autor eine Minivorlesung. Das ist informativ und sogar witzig. Seitenfüllend. Aber mehr halt auch nicht. Fazit: Sprachlich ist Dubois ein Könner, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den, immer ironisch vorgebrachten, lediglich angerissenen Themen, darf man nicht erwarten. Kategorie. Anspruchsvolle Literatur Verlag: dtv, 2020

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