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sursulapitschi

Posted on 13.8.2020

Genau so muss man Familiengeschichten schreiben. Alexander Osang ist hier ein Geniestreich gelungen. In einer Sprache, die einen vor Ehrfurcht erschüttern lässt, fein, humorvoll, gelegentlich süffisant, präsentiert er leidvolle 100 Jahre. Es geht um Jelena aus Schlesien und ihre Familie, die gleich zwei Mal nach Deutschland umsiedeln muss, weil Deutschland auch umsiedelt. Neben ihrer bewegten Lebensgeschichte begleitet man ihren Enkel Konstantin, der recherchiert und mehr über die Vergangenheit seiner Familie erfahren möchte, sich aber auch erinnert. Was hat Tante Vera damals erzählt? Man kreist sie ein, die Geschichte der Elena Silber. Sie umfasst einen Zeitraum von 1905 bis 2017, wird gleichzeitig vom Anfang und vom Ende her beleuchtet und trifft sich in den 90er Jahren. Das ist verzwickt, aber auch hoch spannend. Höchst elegant bekommt man hier russische Geschichte präsentiert, ohne Schlagworte zu benutzen. Man durchlebt Kriege und Revolutionen, die nicht benannt werden, dafür aber umso fühlbarer sind. Niemand behauptete je, in der russischen Revolution zu stecken, als er mittendrin steckte, weiß aber noch, wie man Stalins Geburtstag beging. Hier geht es um eine leidvolle Zeit, um radikale Umwälzungen voller Brutalität und Willkür, ums Überleben und ums Sicharrangieren mit dem Unvermeidbaren. Dieses Buch ist lang. Sicherlich hätte man einiges kürzen können, vielleicht sogar sollen. Manch ein Aspekt wird ein bisschen oft aus unterschiedlicher Sicht beleuchtet. Deshalb ziehe ich letztendlich einen Stern ab, obwohl ich insgesamt wirklich begeistert bin. Es ist ein wundervolles Buch. Lest es.

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