DasIgno
Ifemelu und Obinze wachsen im Nigeria der 1990er Jahre auf. In der Schulzeit werden sie ein Paar. Wie eine ganze von Perspektivlosigkeit getriebene Generation fassen sie in ihrer Studienzeit den Entschluss, Nigeria zu verlassen. Ihr Ziel: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ifemelu bekommt einen Studienplatz, Obinze nicht. Der Plan, dass er nachkommt, scheitert und so verlieren sie sich, ohne sich aber je loslassen zu können. 13 Jahre später kehrt Ifemelu nach Nigeria zurück. Vieles hat sich verändert, doch eine Konstante bleibt: Beide fühlen sich ohneeinander nicht vollständig. ›Americanah‹ entstammt der international preisgekrönten Feder der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Der Roman erschien 2014 in der deutschen Übersetzung bei S. Fischer. Er umfasst in der Paperbackfassung von 2016 864 Seiten, die sich in sieben Teile mit insgesamt 55 Kapiteln gliedern. Ich schicke gleich einen Hinweis vorweg: ›Americanah‹ ist nur sehr sekundär klassische Unterhaltungsliteratur. Der Roman hat einen Auftrag. Er eröffnet einen tiefen Einblick in Schwarzes Leben – in Nigeria und als nicht-amerikanische Schwarze in Amerika, dazu ein bisschen England. Das ganze aus unterschiedlichen Perspektiven, einerseits das Auslandsstudium, andererseits Flucht aus Perspektivlosigkeit. Warum ich meine, das vorweg schicken zu müssen? Man sollte, insbesondere als Weiße*r, mit der richtigen Erwartungshaltung an das Buch gehen. Denn es kann tatsächlich sehr viel geben. Adichie eröffnet insbesondere uns einen Einblick in eine Erlebniswelt, die wir nur nachzufühlen versuchen können. Und das müssen wir, wollen wir unseren internalisierten Rassismus jemals verstehen und überwinden. Langer Rede kurzer Sinn: Wer mit der Erwartung eines romantischen Unterhaltungsromans an ›Americanah‹ geht, wird bald enttäuscht und sich in die Reihe der Rezensionen einreihen, die das Buch für zu dick, langatming bis langweilig, konstruiert, plakativ, mit einer verhältnismäßig dünnen Story ausgestattet etc. halten. Seid euch darüber im Klaren, was euch erwartet, öffnet euch für die Erfahrung, es lohnt sich. Die Gegenwart der Handlung beginnt irgendwo zu Anfang der 2010er Jahre, kurz bevor Ifemelu die USA verlässt und zurück nach Nigeria geht. An diesem Zeitpunkt verharrt sie auch über den größten Teil des Buches. Während Ifemelu in einem Friseursalon für Schwarzes Haar sitzt, wird in langen Retrospektiven ihr Weg bis zu diesem Punkt ihres Lebens erzählt. Er beginnt in den 1990ern in Nigeria, mitten in der Zeit der Militärdiktaturen, in Ifemelus und Obinzes Schulzeit. Der wiederum ist in der Gegenwart im nun wieder demokratisierten Nigeria mit Immobilien reich geworden, nicht besonders glücklich verheiratet und Vater einer Tochter. Das Buch springt, bis die Retrospektiven in der Gegenwart ankommen, insgesamt recht selten und dann nur kurz in sie vor, so dass man leicht vergessen kann, dass es sich um Retrospektiven handelt. Heraus sticht von Beginn an, dass Adachie einen starken Fokus darauf legt, ihren Lesenden die alltägliche Erlebniswelt Schwarzer Menschen in unterschiedlichen Facetten näher zu bringen. Dabei fällt schnell auf, dass die sehr viel komplizierter ist, als man sich das als Weiße*r allgemein vorstellt. Es geht beispielsweise um klassischen Anti-Schwarzen-Rassismus und Colorism (also unterschiedliche Rassismuserfahrungen Schwarzer in Abhängigkeit von der Dunkelheit der Haut) und Schwarze Identität oder um vermeintliche Banalitäten wie Haar- und Hautpflege. Ich hatte das Gefühl, dass Ifemelu häufig, auch wenn sie betroffen ist, eine Perspektive als Beobachterin einnimmt. Ab ihrer Ankunft in den USA bröckelt ihre Identität, sie kann sich nur schwer innerhalb der Gesellschaft verorten. Am deutlichsten wird das daran, dass sie erst in den USA feststellen muss, dass sie Schwarz ist; vorher gab es das Konstrukt in ihrem Leben schlicht nicht. Allerdings muss sie dabei auch feststellen, dass sie anders Schwarz ist als die US-amerikanischen Schwarzen. Später beginnt sie zu bloggen, quasi eine Einführung in US-amerikanischen Rassismus für nicht-amerikanische Schwarze. Die Blogbeiträge macht Adachie zum Teil des Buches und nutzt sie, um etwas expliziter in einzelne Aspekte der Thematik einzuführen. Vieles davon findet sich auch im Diskurs um Schwarzes Leben in Deutschland. Sprachlich kann ›Americanah‹ problematisch wirken. Beispielsweise ist die Übersetzung aus dem Englischen in Begrifflichkeiten sehr direkt. So wird das englische »race« als Rasse übersetzt, was hier durchaus nicht unumstritten ist, weil Rasse im Deutschen ganz anders beladen ist. Auch das N-Wort wird häufig genutzt, was aber nicht dazu einladen sollte, es zu reproduzieren. Adichies Schreibstil ist sehr angenehm. Mir fiel es überhaupt nicht schwer, mich insbesondere in Ifemelu hinein zu fühlen und das, obwohl sie nicht selten völlig irrational bis selbstzerstörerisch zu handeln scheint. Adichie nimmt sich viel Zeit und Raum, alltägliche Rassismen zu erklären, auch was sie anrichten. Das verpackt sie häufig geschickt in die jeweilige Szene, so dass es nicht wie eine Fußnote oder ein Infoblock daher kommt. So finden sich solche Szenen beispielsweise häufig in Gesprächen mit Ifemelus jeweiligem Partner. ›Americanah‹ ist, wie schon anfangs ausgebreitet, ein politischer Roman. Wahrscheinlich ist Literatur von Schwarzen Schriftsteller*innen über Schwarzes Leben immer politisch, weil sie in einer weitgehend weiß-dominierten Literaturlandschaft zwangsläufig eine Erfahrungswelt behandelt, die in weißen Gesellschaften sehr konsequent ausgeblendet wird (Stichwort: Buntstifte in sog. Hautfarbe, Stichwort: Pflegeprodukte und Kosmetika für Schwarze Haut, Stichwort: Schwarzes Haar etcpp.). Wahrscheinlich ist es hilfreich, wenn man sich mit dieser Erlebniswelt vorher schon mal ein wenig beschäftigt hat. Wahrscheinlich ist es weniger hilfreich, dass ich immer noch an meinen Rezensionen über die in dieser Hinsicht hervorragenden Werke von Alice Hasters und Noah Sow kaue. Das Thema ist extrem breit gefächert und durch seine gesellschaftlich weitgehend ignorierte Allgegenwart hochkomplex. Und auch wenn Adichie sich bemüht, vieles zu erklären, das schafft ein Roman einfach nicht umfassend genug. Gerade die vermeintlichen Kleinigkeiten des Alltags erkennt man als Nicht-Betroffene*r deutlich besser, wenn man sich in den Diskurs bereits in eingänglicher Sachbuchform eingeführt hat. Trotzdem ist ›Americanah‹ im Vergleich auch für thematische Einsteiger*innen sehr gut geeignet. Zusammenfassend möchte ich also sagen, lest ›Americanah‹ (und generell mehr Bücher von Schwarzen über Schwarzes Leben). Aber, insbesondere wenn ihr weiß seid, schaltet die anerzogenen Abwehrreflexe ab und nehmt euch Zeit. Auch um das Eine oder Andere weitergehend zu recherchieren. Ich kann’s nicht oft genug sagen, ›Americanah‹ ist nur sehr sekundär ein Unterhaltungsroman.