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gino-alessandro

Posted on 11.8.2020

Meinung: Der Roman „Die Schule am Meer“ von Sandra Lübkes, aus dem Rowohlt Verlag, ist eine kraftvolle, authentische und atmosphärische Erzählung über die Geschehnisse der Vorkriegszeit - bis hin zur Machtergreifung Hitlers, die am Beispiel der individuellen Erlebnisse der Charaktere, die im Internat leben und arbeiten nähergebracht werden. So wird Geschichte wieder lebendig. Ich muss gestehen, dass ich etwas länger für das Buch gebraucht habe. Schon lange habe ich nicht mehr so ein dickes Buch gelesen und aufgrund der Thematik, musste ich den Stoff zwischendurch sacken lassen. Eindrucksvoll schildert Lübkes diese Zeit sowohl gesellschaftlich als auch menschlich. Der Fokus liegt hauptsächlich auf dem Leben der Schüler und Lehrer und den fortschrittlichen pädagogischen Ansätzen des Internats. Interessant fand ich auch, wie viele bekannte Persönlichkeiten sie beherbergt hat wie der Jüdin Anni Reiner, Beate Uhse oder der Sohn von Alfred Döblin. Hervorragend wird beschrieben, wie die Situation für Juden, Kommunisten und Andersdenkende immer brenzliger wurde. Die Charaktere sind so lebendig und greifbar, als wäre die Zeit wirklich relativ. Dabei berührt vor allem die subtile Einfühlung der Gefühlswelt der Figuren. Durch die Perspektivenwechsel lernt man diese immer besser kennen und leidet mit ihnen. Stilmittel, wie das man die Reaktion der Figuren auf dramatische Ereignisse erst im Rückblick erfährt, machen die Erzählung noch aufregender. Es ist großartig, wie Lübkes die vergessene jüdische Lehrerin Anni Reiner, die Schulleiter Martin Luserke in seiner Version der Geschichte immer totgeschwiegen hat, wieder aus der Vergessenheit holt. Anni Reiner hat mit ihrem Mann Paul die Schule mitgegründet und hat sie weitgehend finanziert. Sie musste diese, frisch verwitwet mit vier Kindern verlassen, als Antisemitismus und Nationalsozialismus die "Schule am Meer" erreichten. Der Schulleiter ließ sie dabei im Stich. „Im Leben geht es nicht um Angst. Auf den Mut kommt es an.“ Ein weiter Pluspunkt ist, dass es wahnsinnig gut recherchiert ist und voller wahrer Begebenheiten ist. Die Autorin wälzte hunderte Briefe, Zeitungsausschnitte, Logbücher und Dokumente. Im Nachwort wird erläutert, was Fiktion und was Realität ist, toll! Fazit: Dies ist ein beeindruckender Roman, der vor allem deutlich macht, wie rasant sich nationalsozialistisches Gedankengut im Alltag durchsetzen kann. Selbst an Orten, an denen man es so nicht vermutet. Dies ist ein Buch, für alle, die historische Romane und Internatsgeschichte mögen sowie sich für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts interessieren. Sehr zu empfehlen.

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