papierfliegerin
Schon während des Einstiegs werden dem Leser zwei Dinge klar: 1) dieses Geschichte hat Pfeffer. Sie wird sehr rasant erzählt und ist voller Plots und Twists. 2) Die Handlung ist deutlich komplexer, als es der Klappentext vermuten lässt. In gewisser Weise beißt sich das ganz schön, denn obwohl sich der Schreibstil wunderbar leicht und flüssig lesen lässt, kommt man einfach nicht voran. Es bedarf einer Menge Konzentration, um dem Geschehen folgen zu können. Lukas Hainer hat mit „Nightrunner – vergiss, wer du warst“ einen Urban Fantasy Roman erschaffen, der wahnsinnig viel beinhaltet. So viel, dass es an manchen Stellen etwas überladen wirkt. Zu Beginn kommt man noch ganz gut mit. Der Sprung in die Geschichte ist sehr interessant und spannend und man lernt die beiden Protagonisten nach und nach kennen. Auch Erklärungen gibt es so einige, die ganz nebensächlich eingebunden wurden. Doch bald schon nimmt der Input Überhand. Es kommen unzählige, verschiedene Gruppierungen ins Spiel, die sich alle irgendwie bekriegen. Von Husaren über Amerikaner bishin zu Engeln trifft man hier alles und dabei den Überblick zu behalten, fiel mir persönlich manchmal sehr schwer. Und die Frage, die man sich als Leser permanent stellt: worauf soll das alles hinauslaufen? Lange Zeit herrschte deshalb nichts als Leere in meinem Kopf, weil mir einfach nicht einleuchten wollte, worauf ich mich gefasst machen muss. Obwohl so vieles geschieht und es zu keiner Sekunde langweilig wird, wurden nur wenige Fragen beantwortet – stattdessen kamen immer wieder neue dazu und dieser Schlüsselpunkt, an dem sich die Puzzleteile endlich zusammensetzen sollten, rückte in immer weitere Entfernung. Oftgab es kleinere Plots, die nicht nur mein Vorstellungsvermögen, sondern auch keinen Horizont überstiegen. Ich verstand einfach nicht, was das zur allgemeinen Auflösung beitragen sollte. Und so entstand neben der actiongeladenen, mitreißenden Storyline ein gewisses Chaos in meinem Kopf. Ich fieberte mit, keine Frage. Die Leben, die Evelyn und Leonow jeweils führten, war vollgepackt mit allerlei interessanten, vielschichtigen Elementen. Als sich die Wege der beiden dann auch noch kreuzen, wurde es zunehmend packender. Sicher, man will wissen, worauf alles abzielt – man will verstehen, was gewisse Plots sollten und wie am Ende dann alle Fäden zusammenlaufen. Doch dadurch, dass man derart aufmerksam sein musste und deshalb nur schleppend voran kam, trübte den Lesespaß an einigen Stellen doch sehr. Die lang ersehnte Auflösung war dann nicht minder spannend. Im Gegenteil, der Nebel lichtete sich und vieles machte plötzlich Sinn. Die Action nahm von Seite zu Seite mehr zu und auch in Sachen Kampf gab es einiges zu erleben. Denn da wiederum hat es Lukas Hainer wirklich meisterhaft geschafft, zu überzeugen. Die Kampfszenen sind fulminant, gewaltätig, mutig und authentisch. Man spürte während des Lesens den Hass, der untereinander herrschte und in manch einer Situation meinte man, das Erzittern des Erdbodens unter den eigenen Füßen zu spüren. Nichts desto trotz blieb nach dem Beenden des Buches eine gewisse Enttäuschung zurück. Für mich persönlich waren nicht alle Fragen beantwortet und so manch ein Zusammenhang erschloss sich mir bis zuletzt nicht. Übrigens: am Ende werden einem nochmal zwei Fakten klar: 1) der Titel passt irgendwie nicht so recht zum Buch und 2) da könnte, rein theoretisch doch noch eine Fortsetzung kommen? Dies könnte jedoch auch dem Schreibstil geschuldet sein – zumindest im weitesten Sinne. Denn obwohl sich der Stil sehr gut und verständlich lesen ließ, mangelte es leider an Greifbarkeit. Das Worldbuilding ist nicht 100% ausgereift, ebenso wie es die Charaktere nicht sind. Es fehlte an den nötigen Beschreibungen, um die Vorstellungskraft des Lesers zu erreichen und so entstand schon recht früh das Gefühl von Nebel im Kopf, der sich einfach nicht lichten wollte. Dabei ist die Art, wie Lukas Hainer erzählt, keineswegs schlecht. Er hat ein immenses Tempo vorgelegt und trotzdem gerät man als Leser, rein auf den Lesefluss bezogen, nicht ins Straucheln. Ich bin mir sicher, wäre das Setting sowie die Charaktere und auch die Handlung ganz allgemein weniger „verwaschen“ und „chaotisch“ dargestellt gewesen, wäre alles weniger kompliziert und somit leichter zu verfolgen gewesen. Ein weiterer Faktor, der diese Komplexität schürte, war die Gliederung. An und für sich sind mehrere Perspektiven immer positiv. Auch hier gewährten sie einige tiefere Einblicke in die Begebenheiten und Beweggründe der Charaktere. Trotzdem stiften die unterschiedlichen Figuren auch Verwirrung und jedes Mal wenn man meinte, endlich alles durchschaut zu haben, wechselte der Protagonist wieder und das Spiel begann von vorn. Die Charaktere bestachen in den ersten Momenten noch durch Einzigartigkeit. Beide unterscheiden sich doch deutlich voneinander und auch von der Masse an Figuren, die man als Leser im Laufe der Zeit kennenlernt. Evelyn, das Mädchen, das vom Fliegen träumt und Leonow, der inmitten eines Waldes in eine Jagd gerät und seine große Schwester, und somit alles, was ihm von seiner Familie noch geblieben ist, zurücklassen muss. Eine gute Basis, aus der man als Autor hätte einiges herausholen können; doch leider wurde dies nicht zur Gänze geschafft. Sowohl Evelyn als auch Leonow wirkten sehr oberflächlich, konnten kaum Tiefgang aufweisen und es fällt einem grundlegend schwer, sich die beiden vor Augen zu führen. Die Problematik, dass hier zu viele verschiedene Gruppierungen auftreten, wirkt sich also auch auf die Protagonisten aus. Wo gehören sie hin? Gegen wen haben sie sich gewendet? Wer ist Freund, wer Feind? Was sind sie überhaupt? Mensch? Maschine? Engel? Man weiß es nicht und das Geheimnis um die zwei Jugendlichen blieb zu lange verschlossen. Leonow hatte dabei noch einen etwas besseren Stand, als Evelyn. Er wirkte irgendwie noch sympathisch, irgendwie lebensecht und menschlich; während Evelyn von Anfang an gefühlt nur Fragen aufwirft. Dazu kommt, dass Leonow noch eine gewisse Entwicklung an den Tag legte. Seine Entscheidungen und Gedankengänge waren nachvollziehbarer, wenn auch nicht immer einleuchtend. Evelyn war für mich ein verschlossenes Buch – und wenn man einmal genau darüber nachdenkt, nimmt sie nicht einmal einen Bruchteil der Hauptrolle ein, die Leonow besetzt. Er führt uns durch das zerstörte Wien, durch die Geschichte und Evelyn ist eher der Klotz am Bein. Dazu kommt, dass im Laufe der Zeit auch noch andere Protagonisten ans Licht kommen. So spielen also auch noch andere Figuren eine tragende Rolle spielen; denn auch sie haben ihre eigenen Kapitel erhalten. Das alles spielte den beiden eigentlichen Protagonisten nicht gerade in die Karten; im Gegenteil – sie stehlen ihnen schlicht die Show. Ich kann, trotz aller Kritik, aber nicht behaupten, dass ich, besonders mit Leonow nicht mitgefühlt und mitgelitten habe; es fehlte einfach nur der richtige Zugang zu ihm, um sich bedingungslos auf ihn einlassen zu können. Evelyn bleibt da leider außen vor: sie erreichte mich nicht und begeisterte erst recht nicht. Auch die anderen Figuren wie Lyskom, Kurt und Maria wollten so gar keine Gefühle in mir wecken. Schade. So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt. FAZIT: „Nightrunner – vergiss, wer du warst“ von Lukas Hainer ist ein durchaus spannender Fantasy-Roman. Das Grundgerüst der Geschichte ist enorm einfallsreich, interessant und voller Potenzial. Leider ist die Handlung zu komplex geworden, um so richtig verständlich zu sein. Das Worldbuilding leidet extrem unter den fehlenden Infos und auch die Charaktere weisen einige, eher negative Eigenschaften auf und sind allgemein zu blass geblieben, um sie ins Herz schließen zu können. Dafür ist die Geschichte voller Action, Rasanz, düsterer Stimmung und Kampf und der Schreibstil lesefluss-technisch sehr gelungen. Denn obwohl das Verständnis der Handlung gegenüber fehlte, sprach die Art, wie der Autor erzählt, doch positiv ins Auge. Es ist unheimlich schwer, ein entgültiges Fazit zu ziehen. Es war kein schlechtes Buch, es ist spannend, voller interessanter Elemente und mit einem angenehmen, verständlichen Schreibstil versehen. Doch es gab einige deutliche Kritikpunkte, die nicht zu ignorieren sind. Ich würde sagen: Mittelfeld. Da ist noch einiges an Luft nach oben.