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Babscha

Posted on 30.7.2020

Vivian Gornick, vor kurzem 85 Jahre alt geworden, ist eine waschechte New Yorkerin jüdischer Abstammung aus der Bronx und war als mäßig erfolgreiche Journalistin und Schriftstellerin wie auch als frühe radikale Feministin unterwegs. In ihrer im Jahr 1987 erschienenen Autobiografie „Ich und meine Mutter“ hat sie uns bereits eine Menge aus ihrem eigenartig verkorksten Leben erzählt, von der hochkomplizierten prägenden Beziehung zu ihrer egozentrischen, neurotischen Mutter, der sie ihre schon in der Kindheit geschlagenen Seelenwunden zu verdanken hat, von ihren gescheiterten Ehen und einem bewusst exzessiven Sexleben als leidlich funktionierendem Betäubungsmittel für ihre permanente innere Leere mit bis heute andauernden depressiven Phasen, und natürlich von ihrem Zentral- und Lieblingsthema, der Sinnsuche im Leben. Mit dem jetzt vorliegenden, fast 30 Jahre später geschriebenen Werk schließt sie nahtlos an den Vorgänger an und gewährt dem Leser/der Leserin erneut vertiefte Einblicke in ihre ganz spezielle Persönlichkeit. Sie erzählt von ihrer freudlosen Jugend in der Bronx, ihrer Wut über die empfundene Ungerechtigkeit ihrer sozialen Herkunft, ihrem steten Drang zu Höherem, namentlich der glitzernden Welt des nahen Manhattan, das so trügerisch Lebendigkeit, Glück und Erfolg verheißt. Überhaupt New York! Dieser Stadt hat sie ihr ganzes Leben verschrieben, dort studiert und gearbeitet und sie seit ihrer Jugend in endlosen Wanderungen immer wieder durchschritten und vermessen, früher zusammen mit ihrer Mutter, heute gemeinsam mit ihrem schwulen Jugendfreund Leonard, immer in dem Versuch, sich in den Augen der Anderen und in der Kommunikation mit ihnen zu spiegeln, hieraus neue Erkenntnisse über sich zu gewinnen, den Frust über ihre eigene Unvollkommenheit abzubauen, Heilung zu finden durch Verschmelzung mit der City. Hört sich echt kompliziert an und ist es auch. „Nie war ich weniger allein als allein in einer überfüllten Straße. Hier, so stellte ich fest, konnte ich mir mich vorstellen. Hier, so dachte ich, kaufe ich Zeit. Was für eine Vorstellung: Zeit zu kaufen“. „Jeden Abend lösche ich vor dem Zubettgehen die Lichter in meinem Wohnzimmer im sechzehnten Stock und erlebe einen angenehmen Schock, wenn ich rings um mich herum die Reihen von erleuchteten Fenstern sehe, die sich zum Himmel erheben. Dann fühle ich mich geborgen in der anonymen Umarmung anderer Stadtbewohner. Diese ebenfalls im freien Raum verankerte Menschenansammlung ist das New Yorker Design, das uns generischen Zusammenhalt gibt. Das dadurch ausgelöste Glück beruhigt mehr als alle Erklärungen.“ (Die einzig starke Stelle des Buches. Besser kann man es eigentlich kaum ausdrücken). Aber was soll man sonst sagen zu diesem Werk? Seite 116 bringt es eigentlich ganz gut auf den Punkt: „…habe ich unaufhörlich vor mich hin geträumt. [ ] ..meistens aber von der Zukunft: dem Morgen, an dem ich ein Buch von bleibendem Wert schreiben, den Mann meines Lebens finden oder die Frau mit Charakter sein würde, die ich erst noch werden muss.“ Diese unerfüllten Wünsche lotet eine achtzigjährige Frau hier in der Retrospektive ihres Lebens in geradezu epischer Form aus und zieht dabei unaufhörlich irgendwelche versponnenen, philosophisch angehauchten Parallelen zu irgendwelchen tragischen Gestalten aus Literatur, Geschichte oder auch nur aus ihrem eigenen Bekanntenkreis, streckenweise ein Geschwafel, dass man in der Lektüre irgendwann einfach nicht mehr weiter will. Nett und unterhaltsam sind die eingestreuten Bonmots aus dem täglichen Leben in New York, aber das war´s dann auch schon. Ansonsten ist das Ganze von vorne bis hinten eine eigentlich überflüssige, abstruse und spannungsarme Nabelschau und Selbstrechtfertigung ohnegleichen, die nicht für die Person der Autorin einnehmen kann, geschweige denn Verständnis wecken könnte. Frühe Kommunikationsschwierigkeiten mit Nichtverstehenden führen zu Abkapselung und innerem Exil und dies in logischer Folge dann zu intellektueller Arroganz. Soweit also alles normal. Trotz ihres -mal objektiv betrachtet- eher erfolglosen und unbefriedigenden Durchschnittslebens mit dem lebenslangen Wunsch, „eine Andere zu sein“, kokettiert sie dennoch unentwegt mit ihrem von klein auf ja so hohen Intellekt, der sie bis heute als selbstgewählt allein lebende, immer unverstandene Kämpferin mit stolz vor sich hergetragenem „verhärtetem Herz“ auszeichnet. Was soll das und was will sie dem Leser/der Leserin eigentlich hier nahebringen? Und dann natürlich die Männer. Und vor allem der Sex, logisch. Und Gornicks mal naive, mal forsch-fordernde, später teils selbstverschuldet desillusionierende Erfahrungen mit dieser Bagage, die ihrem hehren Traum von der „romantischen Liebe“ früh den Garaus machen und ihr stetes Gefühl einer grundsätzlichen unsichtbaren Divergenz zwischen Männern (letztlich ja alles enttäuschende Nixbegreifer) und Frauen nach und nach fest zementieren. Es mag Menschen geben, denen dieser Bericht aus dem Innenleben einer komplizierten, verschrobenen Person gefällt. Für mich bleibt hier nur ein großes Vakuum mit vielen Fragezeichen und dem beklemmenden Gefühl vertaner Lesezeit.

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