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Lisa Beiersmann

Posted on 25.7.2020

Nicht nur Cinderella trägt ein wunderschönes Kleid. „Winters zerbrechlicher Fluch“ ist der Sammelband dreier Einzelbücher, in dem verschiedene bekannte Märchen neu adaptiert werden. Im Vordergrund steht Protagonistin Mary aus Athos. In den sieben Königreichen ist sie die einzige Prinzessin und soll mit dem Kronprinzen Duncan von Maywater verheiratet werden. Auf dem Ball, an dem die im Hintergrund geschmiedeten Allianzen öffentlich gemacht werden sollten, taucht plötzlich ein geheimnisvolles Mädchen in einem wunderschönen Kleid auf und erobert des Prinzen Herz im Nu. Mary ist am Boden zerstört, denn sie hat in Duncan mehr als nur den arrangierten Ehemann gesehen. Am Ende der Nacht ist die Unbekannte, Cinderella, jedoch verschwunden und hinterlässt nur einen gläsernen Schuh. Entschlossen dem Schicksal zu trotzen versucht Mary diesen zu zerstören – erfolglos. Erzählt wird die Geschichte vorrangig aus der Sicht von Mary als erlebender Ich-Erzähler. Weiterhin fließen multiperspektivisch allerdings auch immer wieder auf personale Erzählarten weitere Figuren ein: Prinz Duncan, Marys Zofe, ihr Vater und viele weitere. Größtenteils folgt die Geschichte einem linearen Erzählstrang, kleinere Rückblicke in die Vergangenheit sind selten und dienen zumeist der Veranschaulichung vorheriger Erkenntnisse oder Vermutungen. Mary wirkt auf ihr Umfeld zurückhaltend, still, schüchtern und sogar langweilig; allein ihre Schönheit ist in allen Königreichen wohl bekannt. Als Leser merkt man jedoch schnell, dass mehr in ihr steckt. Sie passt sich zwar den höfischen Etiketten und dem Willen ihres Vaters an, lebt sich hinter den Schlossmauern jedoch im Verborgenen aus. Ihre Mutter verlor sie durch deren Sturz von dem Schlossturm in Athos. Die Kapitel aus Marys Sicht beginnt stets mit einer Aussage ihrer Mutter, die diese zu Lebzeiten von sich gab. Duncan lernt man zunächst als einen fröhlichen und munteren Gesellen kennen, der eine weiße Weste trägt und das beste für sein Volk will, dass am Rande des Verderbens lebt. Erst kurz vor Ende des ersten Buches kommt seine eigentliche Rolle zum Vorschein, die einen dann noch einmal kräftig in die Irre führt. Ein weiterer Protagonist mit vielen Auftritten ist Prinz Tarek aus Westham. Bei ihm ist rasch klar, dass er einiges Wissen mit sich trägt, das allen voran Mary lange Zeit verborgen bleibt. Dennoch tritt er nicht als Bösewicht auf, mehr ist er ein heimlicher Ritter in schimmernder Rüstung, dessen Herz sich nach Mary verzehrt. Die Verbindung der beiden bleibt lange Zeit ein Geheimnis und wird immer wieder angeteasert, was die Neugier steigert. Das Buch ist voller Intrigen, was zugleich seine größte Stärke wie Schwäche ist. Im ersten Band schraubt sich die Spannung mehr und mehr in die Höhe. Der Ball und die Ereignisse, die er zur Folge trägt, lassen einen auf fein ausgearbeitete und greifbare Charaktere blicken, deren Handlungen für den Leser einen klaren roten Faden ergeben. Nichtsdestotrotz bietet das Buch aufgrund der Multiperspektive neue Überraschungen, Wendungen und Spannungspunkte, die mich völlig in den Band gezogen haben. Ich war gefesselt und habe mitgefiebert, was als nächstes passieren könnte, bekam gute wie böse Vorahnungen und konnte den zweiten Teil kaum erwarten. Hier bekam mein Höhenschwung jedoch einen kleinen Dämpfer. Während sich im ersten Band die Figuren mit ihren Gesprächen bewegen, stehen sie im zweiten still. Er zieht sich und während mehr und mehr erzählt wird, fragt man sich gleichzeitig wann es endlich weiter geht. Viele Intrigen werden sprachlich ohne jede Spannung gelöst, allerdings nicht für jede Figur gleich. Wie kleine Häppchen wird alles auf ein schier unendliches Repertoire an Figuren verteilt. Um einen Ausgleich dafür zu schaffen werden neue Geheimnisse herbeigeführt, die in ihrer Idee allerdings eher lasch sind. Zu viele Figuren sind hier starr an zu vielen verschiedenen Orten gleichzeitig und das spiegelt sich auch in ihren Handlungsweisen wider. Während ich zuvor noch die charaktergetreuen Aktionen bewundert habe, fällt der Großteil von ihnen im Mittelteil aus ihren Rollen und reagiert unvorhergesehen – aber nicht auf eine gute Art und Weise. Mehr als Aufklärung schuf Band zwei Verwirrung. Der Beginn des dritten Bandes ließ mich neue Hoffnung schöpfen. Der zuvor im Keller versunkene Spannungsbogen bekam einen neuen Aufschwung, die Figuren bewegten sich und bekamen etwas von ihrem alten Ich zurück. Leider währte dieser Schimmer nicht ewig und der dritte Teil des Sammelbandes wurde ein stetiges Auf und Ab an Verwirrung, Rätsellösen und Mitfiebern. Leider fand ich das Ende sehr frustrierend und enttäuschend, aber das ist wohl Geschmackssache. Dieser Sammelband würde von mir in Einzelteilen folgendermaßen bewertet werden. Band 1, Winters zerbrechlicher Fluch: 5 Sterne Band 2, Frühlings Tod: 2 Sterne Band 3, Herbst im Blut: 3 Sterne Daraus ergibt sich eine Gesamtwertung von drei Sternen. Fazit: Ein Buch, das Durchhaltevermögen und eine Vorliebe für wechselnde Perspektiven fordert. Für Märchenliebhaber könnte es sich lohnen einen Blick hineinzuwerfen, da einige Figuren sehr interessant verbaut sind. Und ebenso wie Cinderella trägt auch dieses Buch ein wunderschönes Kleid.

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