auserlesenes
Deutschland im November 1938: Otto Silbermann ist ein wohlhabender Kaufmann, aber auch Jude. Zwar kommt er sich wie ein Schimpfwort auf zwei Beinen vor. Bisher ist er allerdings von den Angriffen der Nazis verschont geblieben. Das ändert sich abrupt: Nur weil er vorgewarnt wurde, entkommt Silbermann in Berlin in der Nacht der Pogrome knapp seiner Verhaftung. Es folgt eine Odyssee. Als Reisender mit einer Aktentasche voller Geld irrt er ziellos umher. Seine Hoffnung, illegal in die Grenze zum Ausland zu überqueren, erfüllt sich nicht. Stattdessen verbringt er seine Zeit in Zügen und an Bahnhöfen und bekommt so einiges mit. Der Roman „Der Reisende“ wurde vom Autor Ulrich Alexander Boschwitz im ausländischen Exil auf dessen Flucht vor dem Naziregime ab dem Jahr 1938 verfasst und nun, fast 80 Jahre nach der Fertigstellung, erstmals in Deutschland veröffentlicht. Meine Meinung: Erzählt wird die Geschichte in elf Kapiteln mit einer angenehmen Länge aus der Sicht von Otto Silbermann. Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er ist klar und flüssig, aber zugleich anschaulich und eindringlich. Auch inhaltlich konnte mich der Roman überzeugen. Mit Otto Silbermann steht ein interessanter Charakter im Vordergrund, der authentisch geschildert wird. Seine Gedanken- und Gefühlswelt werden in gelungener Weise wiedergegeben. Seine Entwicklung ist glaubhaft und steht stellvertretend für etliche ähnliche Schicksale in dieser Zeit. Die Handlung ist ebenso stimmig und an mehreren Stellen spannend. Doch auch bei den eher ruhigeren Passagen kommt keine Langeweile auf. Der Verlust aller Besitztümer und Rechte, die Heimatlosigkeit, die Ängste und die Verzweiflung sind zentrale Themen und werden in der Geschichte hervorragend herausgearbeitet. Das Buch regt dadurch zum Nachdenken an und konnte mich beim Lesen immer wieder berühren. Ergänzt wird der Roman mit einer editorischen Notiz und dem Nachwort des Herausgebers. Sie liefern interessante Zusatzinformationen. Es war erschütternd zu lesen, wie es dem bis dato eher unbekannten Autor nach seiner eigenen Flucht aus Deutschland ergangen ist. Das Cover ist ansprechend gestaltet und drückt sehr gut die Stimmung und den Inhalt des Romans aus. Der Titel ist ebenfalls treffend gewählt. Mein Fazit: „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist ein bewegendes, lesenswertes Stück Zeitgeschichte, das ich nicht nur Geschichtsfans ans Herz legen kann.