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Sarah | wordsinember

Posted on 21.7.2020

Meine Meinung So wie immer, wenn es um Schullektüre geht, war ich auch bei Agnes von Peter Stamm anfangs skeptisch. Schon nach einigen Seiten aber wusste ich, dass diese Skepsis völlig unbegründet war und dieser Roman unglaublich faszinierend und tiefgründig ist. Der Schreibstil ist klar und kommt ohne Ausschmückung durch detaillierte Beschreibungen aus. Damit ist ein schnelles Lesen vorprogrammiert. Klar wird auch, dass der Schreibstil das Innere des Ich-Erzählers widerspiegeln soll. Aus der Ich-Perspektive beschreibt der Erzähler, ein bekannter Schriftsteller, seine Liebesbeziehung zu Agnes, einer Physikstudentin. Diese bittet ihn im Verlauf der Geschichte ein Porträt über sie zu schreiben, denn sie möchte wissen, was er von ihr hält. Während des Lesens wird deutlich, dass der Erzähler sich anders an Erlebtes erinnert als Agnes. Er verfällt immer mehr seiner Phantasie und bastelt sich so eine Agnes, die seinen Vorstellungen entspricht ungehindert dessen, was die Realität ihm bietet. Auch ist er fast gar nicht in der Lage sich tiefgründiger mit seinen Gefühlen zu befassen und weicht in Gesprächen diesen Themen immer aus. Das lässt die Unterhaltungen der beiden kalt und belanglos erscheinen. Aber gerade das gibt dem Leser die Möglichkeit sich mit den erwähnten Themen wie Leben nach dem Tod selber zu befassen und sich eine eigenen Meinung zu bilden. Über die Figur der Agnes war ich sehr erstaunt. Anfangs scheint sie dieses Spiel mitzuspielen und sich in die Rolle der "geschriebenen Agnes" zu begeben. Sie wartet auf Anweisungen, was sie sagen, tun, anziehen soll und folgt diesen gewissenhaft. Doch eines Tages verläuft die Beziehung anders als sie es sich vorgestellt hat, weswegen sie den Erzähler verlässt. Nachdem sie wieder zu ihm zurückkehrt, ist sie anders als zuvor. Agnes scheint das Spiel nicht länger mitspielen zu wollen, denn sie hat gemerkt, dass die Verfassung des Porträts den Erzähler stark in seiner Auffassung der Realität beeinflusst. Der Ich- Erzähler lässt einen in die Geschichte eintauchen und trotzdem hat man durch die Distanz der Charaktere zueinander nie das Gefühl ganz Teil dessen zu sein und alles trotzdem von Außen zu betrachten. Die Stimmung des Buches ist stets sehr kühl und melancholisch und machte es mir somit teils sehr schwer mich in die Geschichte einfühlen zu können, da diese Stimmungen sich beim Lesen mit meinen kaum gedeckt haben. Spannung kam für mich auf sobald die beiden mit dem Schreiben des Porträts begannen, denn erst dort wurde deutlich in welche Richtung sich diese Liebesgeschichte entwickeln wird und so war ich kaum überrascht aber schockiert über das Ende des Romans. Letztendlich ist dieses ziemlich offen und bietet dem Leser Stoff für eigene Überlegungen und Diskussionen. Das Cover ist anfangs nicht wirklich spektakulär und würde mich, wenn ich es im Laden sehen würde auch überhaupt nicht ansprechen. Doch nach dem Lesen des Buchs ist deutlich ein Zusammenhang zu erkennen. Die verschwommene Frau auf dem Cover könnte Agnes darstellen, denn auch nach dem Beenden des Buches, ist nicht klar, wer Agnes nun wirklich war. Fazit Peter Stamm schafft es mit Agnes ein kleines tiefgründiges Kunstwerk in nur wenigen Worten und Seiten zu verfassen und bildet die subjektive Auffassung der Realität von zwei Liebenden ab, die sich in Schriftform neu erfinden wollten und dabei an ihre Grenzen, das Leben selbst, stoßen. Bis jetzt habe ich noch kein vergleichbares Buch gelesen und kann es nur empfehlen, da es auf kurze prägnante Weise dem Leser deutlich macht, was der Kern dessen ist.

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