Babscha
„Die Liebe ist nicht gemacht für [ ] Zerreißproben. Sie ist gemacht für Leichtigkeit, Lebensfreude, uneingeschränkte Nähe, das Regiment der Gefühle. Die Liebe ist ein gnadenlos geselliges Wesen, eine Lady, die gern lacht und sich amüsiert – Trauer zehrt sie auf, Krankheit greift den Teil von ihr an, der die sexuelle Lust steigert, Konflikte ermüden sie, sie wendet sich ab (S. 90)“ Wenn Tuil sich in ihrem Buch nur um dieses Thema gekümmert hätte, wär´s ja vielleicht sogar noch was geworden. Aber wie schon in ihrem eher durchwachsenen Roman „Die Gierigen“ holt die in Paris lebende Tochter tunesischer Juden auch hier die ganz große Keule raus und versucht sich erneut an einem geradezu ätzend sarkastischen Roman, einer wütenden Anklage, die mittels ihrer story einfach alle treffen soll, die französische Elite im Dunstkreis von Macht, Geld und Politik rund um den Pariser Elysee mit ihrer ganzen Dekadenz, ihren Günstlingen und käuflichen Speichelleckern incl. deren Geringschätzung der Unterklasse in den Banlieues, die Vertreter des in diesem Land stets und überall unterschwellig wie offen ausgetragenen Krieges zwischen Juden und arabischer Welt und natürlich fehlt auch nicht die Thematisierung von Rassenhass am Beispiel der speziellen und schwierigen Existenz schwarzer Franzosen in dieser Gemengelage. Dies alles einschließlich arg tragischer Lovestories bläht das Ganze auf fast 500 Seiten dann zu einem derartigen Ballon von heißer Luft auf, dass man dessen Platzen jederzeit erwartet. Die eigentliche Kerngeschichte wird durch diese maßlose Überfrachtung mit Klischees geradezu erdrückt und somit beliebig, die Figuren bleiben als Karikaturen der durch sie vertretenen Gesellschaftsschichten durchgängig blass, unsympathisch und gesichtslos. Schade. Wer sind also diese vier Hauptpersonen, mittels derer die Autorin ihre Anliegen hier abarbeitet? Da ist Osman Diboula, ein sozial engagierter, trotz fehlender Bildung politisch hochambitionierter Schwarzer aus Clichy, der es durch Protektion und über Seilschaften bis zum Präsidentenberater bringt, dann allerdings in Ungnade fällt. Dann Francois Vely, schillernder und bestens vernetzter Emporkömmling aus der Pariser Elite, dem das Leben und die Frauen nur so zufliegen, ein korrupter, narzisstischer und machtgieriger Typ, dessen Stern erst zu sinken beginnt, als seine Ex-Frau einen spektakulären Suizid begeht, nachdem er ihr eröffnet hat, dass er seine 26 Jahre jüngere Geliebte heiraten wird und zeitgleich seine jüdische Abstammung bekannt wird. Weiter Romain Roller, ein ebenfalls in Clichy aufgewachsener Underdog, aggressiv, haltlos, der bereits in jungen Jahren für die französische Armee in Afghanistan dient und von dort 2009 schwersttraumatisiert zurückkehrt. Und natürlich Marion Decker, die weibliche Hauptfigur, eine von einer prekären Jugend gezeichnete instabile Endzwanzigerin, emotional verdreht und latent aggressiv. Und Marion ist dann auch diejenige, die kraft ihrer spröden, aber attraktiven Art die Männer restlos in Bann schlägt, allen voran natürlich Francois und Romain, ersterer sich vollständig verzehrend nach einer Frau, die sich mal wieder nicht entscheiden kann zwischen Luxus und Leidenschaft, letzterer bereit, alles dafür zu tun, seine Partnerin nicht zu verlieren. Das Buch ergeht sich in einer eigenartig schwülstigen, überkandidelten Sprache, die die ganzen hehren Gefühlslagen der Beteiligten auf einen Level hievt, der letztlich nur noch lächerlich und unglaubhaft wirkt, zumindest soweit es Liebe und Emotionen betrifft. Aber auch die ganze sonstige exaltierte Geschichte um Gier, Krieg, gesellschaftliche Missstände, Rassismus, Antisemitismus etc. ist letztlich konstruiert, unlogisch und liest sich irgendwann wie billiges Kaugummi. Ein unglaubwürdiges, spannungsfreies und überflüssiges Machwerk, das man als offensichtlichen literarischen Fehlgriff tatsächlich nur in Zeiten von Corona und Sommerhitze zu Ende bringen kann.