auserlesenes
Kate Rafter hat als Kriegsreporterin schon viele schlimme Dinge gesehen. Sie hat Panikattacken, leidet unter Albträumen und hört Stimmen. Doch das ist nicht alles. Die 39-Jährige muss auch erfahren, dass ihre Mutter gestorben ist. So kehrt sie zurück an die südenglische Küste in ihre Heimat, die Kleinstadt Herne Bay. Dort lebt ihre alkoholkranke Schwester Sally noch immer. Aus einem Nachbargarten hört Kate die Schreie eines Jungen. Doch niemand will ihr glauben. Bildet sie sich das Ganze nur ein? Kate weiß nicht, in welcher Gefahr sie sich befindet. „Was ihr nicht seht“ ist der spannende Debütroman von Nuala Ellwood. Meine Meinung: Der Roman ist in drei Teile aufgeteilt, die wiederum 48 relativ kurze Kapitel umfassen. Zudem gibt es einen Pro- und einen Epilog. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive – zunächst aus der Sicht von Kate, später auch aus der von Sally. Die Ereignisse spielen sich vorwiegend im Jahr 2015 ab. Dabei gibt es zum Teil Sprünge zwischen den zeitlichen Ebenen und einige Rückblenden. Der geschickt konstruierte Aufbau hat mir gut gefallen. Auch sprachlich ist der Psychothriller gelungen. Der Schreibstil ist klar, flüssig, anschaulich und sehr eindringlich. Nach dem Prolog, der neugierig macht, schafft es die Autorin, eine unheimliche, fesselnde Atmosphäre zu erzeugen, die mich bis zum Ende des Buches nicht mehr losgelassen hat. Im Mittelpunkt steht Kate, deren Gedanken- und Gefühlswelt der Leser sehr gut kennenlernt. Es fiel mir leicht, mich in sie hineinzudenken. Obwohl sie durchaus ein Mensch mit Fehlern ist, löst ihre Geschichte Mitleid und Betroffenheit aus. Ein weiterer Charakter ist ihre Schwester Sally, die für mich zunächst keine Sympathieträgerin war, aber durch ihre Vielschichtigkeit ebenfalls interessant ist. Auch die übrigen Personen wirken authentisch. Inhaltlich bietet der Thriller wegen der psychischen Probleme aufgrund der traumatischen Kindheits- und Kriegserlebnisse viel Tiefgang. Menschliche Abgründe in unterschiedlicher Form werden dargestellt. Dadurch regt die Geschichte zum Nachdenken an und ist keine leichte Kost. Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist es, dass das Geschehen lange Zeit verwirrend und dennoch packend bleibt. Als Leser rätselt man, was real und was Einbildung ist. Zudem werden viele offene Fragen aufgeworfen. Die Handlung ist dabei glaubwürdig, gut durchdacht und größtenteils unvorhersehbar. Vor allem im dritten Teil bietet sich dem Leser eine unerwartete Wende. Überrascht und geschockt haben mich vor allem die letzten Kapitel. Die Auflösung wirkt absolut überzeugend. Insgesamt ist die Handlung innovativ und unterscheidet sich von dem, was ich bisher gelesen habe. Das Cover mit den ausgetanzten Buchstaben macht die Gestaltung des Buches besonders und gefällt mir. Der deutsche Titel weicht stark vom englischen Original („My Sister’s Bones“) ab, ist aber dennoch sehr treffend. Mein Fazit: „Was ihr nicht seht“ von Nuala Ellwood ist ein gelungener Roman mit psychologischem Tiefgang, der sich in seiner Kreativität positiv von anderen Thrillern abhebt. Ich kann die Lektüre allen Fans von spannender Literatur empfehlen.