stricki
Machtlosigkeit Was passiert, wenn eine 18-jährige Obdachlose Unterschlupf in einer Familie findet, die aufgrund des Todes eines Kindes aus den Fugen geraten ist? Diese Geschichte erzählt Delphine de Vigan in diesem Buch. Und das macht sie überaus raffiniert und feinsinnig. Jedesmal wenn ich mir dachte, ach klar, als nächstes wird dies oder das passieren, passierte etwas anderes. Viel besseres. Und die Geschichte ist gut recherchiert, wird sehr glaubwürdig erzählt. Mich dünkt, die Autorin hat sich im Vorfeld gut mit dem Thema auseinander gesetzt. Ihre Bücher entwickeln einen Sog, so auch dieses. Man wünscht es der kleinen Lou so, dass sie eine echte Freundin in No gefunden hat, dass es No gut tut, Teil der Familie zu sein, dass die Mutter wieder lebendiger wird und der Vater sich endlich entspannen kann. Die Dinge sind wie sie sind - aber was heißt das? Die Zeit heilt manchmal Wunden, aber manche gehen auch so tief, dass sie immer wieder aufreißen. Wer nie Vertrauen kennen gelernt hat, wird immer nach Zeichen suchen, wo er hintergangen oder abgewiesen wird. So auch No. Nos Ambivalenz spielt eine entscheidende Rolle im Buch, sie will geliebt werden und dazu gehören, sie will ihre Freiheit und Unabhängigkeit behalten, sie braucht Suchtmittel, um den Kopf abzuschalten, wenn ihre Gedanken sie zu sehr herunterziehen. Es ist unglaublich berührend, wie Lou versucht, der Situation herr zu werden. Wie ihr 2 Jahre älterer Freund versucht, den beiden eine Stütze zu sein. Entgleitet No oder können sie sie retten? Es ist so viel mehr als nur die Geschichte einer jungen Obdachlosen. Es ist auch die Geschichte einer Familie, die vor Trauer erstarrt ist. Eines gemeinsamen Neuanfangs. Eine Geschichte von Hoffnung, Freundschaft, Familie. Realität. Und dass jeder etwas machen kann. Ob es sich lohnt, mag jeder selbst entscheiden. Ich finde: ja. Ein wunderbares Buch. Der Stern Abzug ergibt sich daraus, dass ich ihre anderen Bücher, die sie später schrieb, noch mal intensiver fand.