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Harakiri

Posted on 16.7.2020

Es ist Mittag im Alten Land. Die Menschen ziehen sich auf ihre Küchenbänke und Stubensofas zurück und ruhen sich aus. Doch was ist jetzt los? Der Büchereibus fährt auf den Vorplatz und hupt! Ein erstes Zeichen der Veränderung in einem kleinen Bauerndorf in Ostfriesland. Ingwer Feddersen kommt aus der Stadt zurück, um seine alten Eltern zu pflegen und erlebt ein Dorf, das er so nicht mehr in Erinnerung hat. Dörte Hansen schreibt vom Wandel, aber auch vom Zusammenhalt der Dorfbewohner. Von früheren Zeiten und von jetzigen. Von besseren und schlechteren. Und von den Charakteren, die so ein Dorf hervorbringt. Da ist der alte Sönke, der vom Krieg wieder kommt und erst einmal rechnet, ob das Kind im Bauch seiner Frau überhaupt von ihm sein kann. Und da ist Marret „halfbackt“ – die ihr Neugeborenes nicht annehmen kann und in der Schwangerschaft lieber vom Heuboden springt, als sich die Schande eines unehelichen Kindes anzutun. Denn genau das ist es noch in dem kleinen Dorf. Zumindest vor dem Wandel. Anfangs fand ich die Schreibweise von „Mittagsstunde“ noch etwas schwer und ich tat mich nicht leicht, in die Handlung zu finden. Die Leute schnacken platt – da hätte ich manchmal schon einen Dolmetscher gebraucht. Doch mit der Zeit habe ich mich dann eingelesen und auch die Handlung hat mich fortgerissen. Ich sah das Dorf sehr gut vor mir, der kleine Dorfladen, die Bäckerei, in der alle zusammenkommen, die düsteren Bauernhöfe und die kleine Volksschule, in der 9 Klassen gleichzeitig unterrichtet werden. Hansen zeichnet ein Bild vom Wandel. Ob dieser gut oder schlecht ist muss jeder für sich selbst entscheiden. Hansen zeichnet aber vor allem auch ein Bild des Dorflebens in der Vergangenheit. Und das hat mich begeistert. Wie die Leute alle treffsichere Beinamen bekommen und wie man sich am Abend im Dorfgasthaus trifft, um sich auszutauschen – so ein klein wenig habe ich auch noch davon mitbekommen und ja, manchmal habe ich mich während des Lesens doch in meine Kindheit und die Ferienzeit bei der Oma im kleinen Dorf zurückgesehnt.

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