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Die meisten von uns kennen wahrscheinlich den Moment, in dem man sich das erste Mal in Musik wiederfindet; in dem man sich von Songs verstanden fühlt; in dem man glaubt, dass da gerade von einem selbst gesungen wird. Johanna, Kind der englischen Arbeiterschicht der 90er, widerfährt genau das. Doch anstatt sich in ihrem Zimmer zu verkriechen, der Musik zu lauschen und sich von der restlichen Welt unverstanden zu fühlen, beschließt sie, Musikkritikerin zu werden. Da ihr Äußeres, aber auch ihre bisherige Persönlichkeit nicht in dieses neue Universum zu passen scheinen, erfindet sie sich einfach neu und wird eine verruchte, zynische und extrovertierte Version ihrer selbst: Dolly Wilde. Ich wäre von allein wahrscheinlich nie über dieses Buch gestolpert, bin nun im Nachhinein aber ganz froh, dass mich eine Freundin darauf aufmerksam gemacht hat. Johanna alias Dolly ist nämlich nicht die hübsche kleine weichgespülte Protagonistin, die wir zur Genüge aus amerikanischen Jugendbüchern kennen, sondern ein glaubhafter Teenager, der sich auf der Suche nach Identität befindet und dafür eben auch mal den falschen Weg einschlägt. Sie spricht frei heraus von Masturbation, Lust und Sex, wie man es von einer heranwachsenden Frau erwarten kann; berichtet gleichzeitig ebenso von ihren Fauxpas, das Leben der sogenannten "Unterschicht" und den daraus resultierenden Existenzängsten. Der englische Titel "How to build a girl" passt hier allerdings viel besser ins Programm, da es während Dollys Entwicklung an vielen Stellen auch um Selbstdarstellung und Fassaden geht, derer sie sich bedient. Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Autorin ihre Protagonistin zur Einsicht kommen lässt und jungen Leser*innen somit kein falsches Bild vermittelt. Trotzdem stehe ich ihrer verharmlosten Darstellung von Alkoholkonsum und Schulabbruch sehr skeptisch gegenüber, was auch mein Hauptkritikpunkt am ganzen Roman ist.