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Matzbach

Posted on 8.7.2020

Irgendjemand im Kultusministerium NRW scheint Judith Hermann sehr zu mögen. War ein Auszug aus "Letti-Park" schon einmal in den zentralen Abschlussprüfungen zum Erwerb der FOR, so ist die gleichnamige Erzählung aus dem Band "Sommerhaus, später" vorbereitende Lektüre für das Abitur zumindest im gegenwärtigen und kommenden Jahr. Ging es im ersten Fall noch um einen Textauszug, der mit Hilfe der vorgegebenen Fragestellungen durchaus bearbeitbar war, so stellt sich mir im Fall von "Sommerhaus, später" die Frage, was dieser Text mit der Lebenswelt junger Menschen in der Q1 (Klasse 11), also zumeist nicht einmal volljährigen Menschen zu tun hat. Die Geschichte zwischen der Ich-Erzählerin und dem Taxifahrer Stein, ein Auf und Ab des Versuchs, eine erkaltete Liebe aufzuwärmen, ist vielleicht für lebenserfahrene Menschen interessant, aber für die meisten Schülerinnen und Schüler, die es lesen müssen, so fremd wie eine Telefonwählscheibe. Auch die im Text erwähnten Namen aus der Berliner Kulturszene der Nachwendezeit sind den meisten nicht mehr geläufig, ja selbst die erwähnten Bands, vielleicht noch am ehesten ein möglicher Anknüpfungspunkt für heutige Jugendliche, sind überwiegend fremd, wobei mich persönlich (positiv) überrascht hat, dass David Bowie dann doch vielen noch ein Begriff ist (in Zeiten in Dauerschleife heruntergenudelter, zwischen den Zähnen hervorgepresster Rapsongs regelrecht ein Wunder. Ich "empfehle" mal einen Ausflug mit Schülerinnen und Schülern im Bus, bei denen diese für die musikalische Untermalung sorgen, danach wird man als Mensch im gesetzten Alter aggressiv). Ganz ehrlich, in meiner nun nicht ganz kurzen Erfahrung als Deutschlehrer stellt "Sommerhaus, später" einen Tiefpunkt dar, und die diesbezügliche Unterrichtsreihe, zugegebenermaßen auch durch Corona benachteiligt, stellt defintiv keinen Höhepunkt in meiner Karriere dar. Und da ich ein sparsamer Mensch bin und mir dachte,, warum eine Geschichte lesen, wenn das Buch doch mehr biete?t: die anderen sind auch nicht viel besser.

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