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Helga

Posted on 24.6.2020

Ich kenne das andere Buch der Autorin bislang nicht, daher kann ich hier keinen Vergleich dazu ziehen, was vielleicht auch ganz gut ist. In "Das Volk der Bäume" werden das Leben eines Wissenschaftlers aber auch die Eigenheiten eines ganzen Volkes sehr detailliert und mitunter kleinteilig erzählt. Da es stilistisch an Biographien angelehnt ist, enthält es die ein oder andere, durchaus lange, Fußnote und der Erzählstil ist manchmal etwas trocken. Lange sind keine direkten Bezüge zur Handlung aus dem Prolog erkennbar, doch die ergeben sich nach und nach, auch wenn man zwischenzeitlich über die ein oder andere Länge hinwegsehen muss. Das Ende hat mich dann jedoch ziemlich schockiert und mit den Schwächen des Buches komplett versöhnt, da es sich als ziemlich geniale Konstruktion erweist. Das Buch ist zwischenzeitlich auch deswegen schwer zu ertragen, da es entweder aus der Sicht Perinas, einem selbstverliebten, kalten und arroganten Mann, oder aus der Sicht des ihn vergötternden Mitarbeiters erzählt wird. Der Wert des Buches liegt dabei vor allem in den zahllosen Denkanstößen, über die man lange reflektieren und diskutieren kann und die nicht nur Perinas sexuelle Neigung thematisieren, sondern noch viele andere Aspekte, wie beispielsweise die Ausbeutung bis dato nahezu isoliert lebender Völker und die Frage nach dem richtigen Umgang mit Genies, die unsere Moralvorstellungen verletzen. Dabei legt die Autorin ihrem Roman eine wahre Geschichte aus dem Wissenschaftsbetrieb zugrunde. Doch wer hätte gedacht, dass dieser schon ältere Debütroman nichts an Aktualität verlieren wird (wenn wir beispielsweise den Fall Michael Jackson und die jüngste Enthüllungsdokumentation betrachten)? Da ich mich sehr für Wissenschaftsromane begeistern kann, hat mich dieses Buch trotz seiner mitunter etwas ermüdenden Ausschweifigkeit fast durchweg gefesselt, es hat mich sprachlich überzeugt und vor allem in seiner Konstruktion begeistert. Das Buch ist vielschichtig und hinterfragt den Geniekult, der Menschen mit herausragenden Leistungen in irgendeinem Bereich quasi unantastbar macht, selbst bei vermuteten schlimmsten moralischen Verfehlungen. Aber es fragt auch, wie viel wir im Namen der Wissenschaft dürfen und welche Verantwortung Wissenschaftler für ihre Untersuchungsobjekte tragen. Mich hat dieses Buch komplett abgeholt und sehr begeistert. Es ist anspruchsvoll und regt zum Nachdenken an und ist keines der Bücher, das man Tage später schon wieder vergessen hat.

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