Helga
Am Ende von "Der Report der Magd" bleibt offen, was mit Desfred passiert. Für mich eines der frustrierendsten Buchenden überhaupt. Zum Glück habe ich den ersten Band jedoch erst vor einigen Wochen gelesen und nicht, wie andere, schon vor Jahren oder Jahrzehnten. Nach fast 35 Jahren kommt nun mit "Die Zeuginnen" der Folgeband heraus. Darin berichten in verschiedenen Dokumenten drei verschiedene Frauen von zentralen Ereignissen in Gilead. Eine davon ist Tante Lydia, die schon im ersten Band eine wesentliche Rolle spielte und als Unterstützerin zum System beiträgt. Die zweite ist Agnes, Tochter aus einer Kommandantenfamilie, die auf die Schule für höhere Töchter geht um für die Ehe vorbereitet zu werden und die bislang nichts anderes kennt als die Unterdrückung der Frau. Und die dritte schließlich ist die 16-jährige Daisy, die im benachbarten Kanada aufwächst und die Zustände aus Gilead aus dem Schulunterricht kennt. Was die drei über Gilead zu erzählen haben, erfahren wir aus historischen Dokumenten, die wie schon im ersten Band, auf einem wissenschaftlichen Symposium besprochen und interpretiert werden. Dieses abschließende Symposium im Nachwort beantwortet noch viele der offenen Fragen. Auch die Fragen aus dem ersten Band werden beantwortet. Ob sich Atwood mit diesem zweiten Band einen Gefallen getan hat, kann man diskutieren. Immerhin hat er ihr bereits den Booker Prize eingebracht. Die aktuelle Weltlage und vor allem der aktuelle amerikanische Präsident seien eine treibende Motivation gewesen. Das kann man sich angesichts der Thematik und vieler deutlicher Parallelen bereits im ersten Band sehr gut vorstellen. Ein wenig wirkt das Buch aber auch, als ob es sich sehr an den Wünschen der Lesenden orientiert. Es ist actionreicher als der Vorgänger, spannender und geht eher in Richtung Spionageroman. Dafür sind die Verwicklungen weniger komplex und viele Handlungsstränge laufen zusammen, was die Geschichte etwas unglaubwürdig und die Verbindungen etwas erzwungen wirken lässt. Und dafür, dass Gilead eine von Männern dominierte Welt ist, bleiben die männlichen Figuren stark im Hintergrund und vergleichsweise blass. Dennoch hat mich der Roman unterhalten und gleichzeitig den Stoff zum Nachdenken aufgefrischt, wenn auch nichts Neues geliefert. Angenehmerweise hat dieser Band auch das Ende des Vorgängers aufgelöst. Mich konnte das Buch durch die Spannung gut fesseln, durch die Gegebenheiten empören und letztlich durch sein positives Ende einen Hoffnungsschimmer wecken. Ich fand es auf jeden Fall lesenswert und durch das Erscheinen dieses Bandes bin ich überhaupt erst auch auf den ersten Band aufmerksam geworden. Nun werde ich sicherlich noch andere Bücher der Autorin lesen.