stephanienicol
Es gibt wenige Bücher, von denen ich behaupten kann, dass sie mich nachhaltig und tief beeindruckt, bewegt und zum Nachdenken angeregt haben! "Ein wenig Leben" von Hanya Yanagihara hat all dies geschafft - und gleichzeitig noch viel mehr! Deshalb fällt es mir auch so unglaublich schwer, meine Leseeindrücke in Worte zu fassen. Das Cover verrät nicht allzu viel über den Inhalt des Buches! Der leidende Gesichtsausdruck stellt aber ganz gut dar, mit welcher Thematik sich die Geschichte eventuell befassen könnte. Das Cover ist schlicht, aber besitzt dennoch eine enorme Aussagekraft! Um was geht es? Seit dem College sind Willem, Jude, JB und Malcom engste Freunde und meistern gemeinsam alle Hindernisse des Lebens. Die Freunde kennen sich und die Geschichte der anderen wie ihre eigene - außer Judes, von dessen dunklen Vergangenheit keiner der anderen etwas nur annähernd ahnt ... Das Buch dreht sich um die tiefe Freundschaft und grenzenlose Liebe zwischen den vier Freunden Willem, JB, Malcom und Jude! Relativ schnell wird allerdings deutlich, dass vor allem ein Charakter besonders im Fokus der Geschichte steht: Jude St. Francis! Seine Vergangenheit, über die man während der ersten 400 Seiten gänzlich im Dunkeln gelassen wird, und die Traumata, die ihn sein Leben lang begleiten, rücken immer mehr in den Mittelpunkt, sodass die anderen Figuren - vor allem Malcom und JB - immer mehr zu Nebenakteuren verblassen. Vielmehr erzählt Hanya Yanagihara äußerst intensiv und emotional, wie Jude das Leben meistert oder auch daran scheitert. Häppchenweise bekommt man Einblicke in Judes schmerzhafte Geschichte, sodass sich nach und nach alle Puzzleteile zusammensetzen und ein großes Ganzes ergeben. Absolut gelungen waren alle Nebencharaktere, die sich in all den Jahren um Jude scharen! Auch die Nebenfiguren bekommen ihre eigene Geschichte, sodass man eine enge Bindung zu ihnen aufbauen kann. Hanya Yanagiharas Schreibstil entspricht nicht der gewöhnlichen Leichtigkeit, die man heutzutage in vielen Romanen findet! Vielmehr erzählt sie zutiefst aufwühlend und berührend Judes (Leidens-)Geschichte und man fragt sich selbst immer wieder, wie ein Mensch so viel ertragen und aushalten kann! Die Sätze sind teils etwas länger, als man es eventuell gewöhnt ist, was einem allerdings nur zeigt, dass man sich auf einer anderen Ebene innerhalb der Literatur befindet. Gerade die ersten 400 Seiten waren für mich sehr anstrengend! Nicht nur, weil ich mich erst mit dem Schreibstil vertraut machen musste, sondern weil auch tatsächlich nur sehr wenig passiert ist! Die Geschichte konnte mich anfangs deshalb auch kaum fesselnd und zog sich sehr zäh, weshalb ich echt gekämpft habe! Nach diesen ca. 400 Seiten entwickelt die Geschichte um Judes Vergangenheit allerdings eine solch intensive Sogwirkung, dass man das Buch unbedingt weiterlesen möchte, sich aber auch gleichzeitig davor fürchtet, mehr über Jude und seine dunklen Geheimnisse herauszufinden! Ein Buch wie "Ein wenig Leben" von Hanya Yanagihara, das einen so aufwühlt, intensiv berührt und gleichzeitig zerstört, aber auch zum Nachdenken anregt, begegnet einem nur selten! Die Geschichte geht unter die Haut und direkt ins Herz des Lesers!