Profilbild von ninchenpinchen

ninchenpinchen

Posted on 21.6.2020

Über die Lebenszeit, die wir haben, wie wir darüber denken und wie wir sie nutzen Ann Patchett erschafft in „Das Holländerhaus“ eine bedrohliche Atmosphäre, die im Untergrund zwischen den Zeilen schwingt, ohne dass dies deutlich zum Ausdruck käme. Der Leser spürt, wie sich kommendes Unheil zusammenbraut – in einem Vorstadium sozusagen. „Das heißt nichts Gutes für uns, Danny“, sagt sie. „Das solltest du wissen.“ (Seite 54) Hier spricht Maeve, Dannys ältere Schwester. Seite 57: „Ich sehe die Vergangenheit ja, wie sie tatsächlich war […] Aber wir neigen dazu, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu überlagern. Wir betrachten sie durch die Linse unseres heutigen Wissens, sodass wir nicht die Menschen sehen, die wir damals waren, sondern die wir inzwischen sind, und das bringt eine radikale Veränderung der Vergangenheit mit sich.“ Ab Seite 110 platzt dann die Bombe. Gewaltig. Danny, der jüngere Bruder von Maeve verliert seine Mutter, bevor er sie überhaupt richtig wahrnehmen konnte. Die Mutter verlässt das Holländerhaus und damit ihre beiden Kinder – einfach so – ohne irgendwem etwas zu sagen. Die Gründe, die sie wirklich hatte, erfahren wir erst viel später. Als der Vater, Cyril Conroy, erneut heiratet, ergibt sich eine Aschenputtel-Situation, denn die neue Frau bringt zwei Töchter mit in die Ehe und ins Holländerhaus. Danny und Maeve verstehen sich ganz gut mit den neuen (jüngeren) Stiefschwestern, aber nicht mit Andrea, deren Mutter. Es gibt liebevolles Personal im Holländerhaus: Sandy und Jocelyn. Cyril Conroy, der Vater, ist auf dem Immobiliensektor tätig und macht viel Geld, besitzt viele Häuser, nicht nur das Holländerhaus. Als er nach nur vier Jahren Eheleben stirbt, wirft Andrea die fremden Kinder aus dem Haus. Schnell und unbarmherzig. Sie hat im Vorfeld umfassend, mit Anwalt, und sehr, sehr rechtzeitig dafür gesorgt, dass nun alles ihr gehört. Für Maeve und Danny bleibt lediglich ein Ausbildungsfond. Ann Patchett spielt mit den Zeiten, aber meistens erkennt der Leser schon am ersten Satz, in welcher Ära man sich befindet, mich hat das nicht gestört und es hat auch den Lesefluss beeinträchtigt. Die Personen, ihre Befindlichkeiten, Tätigkeiten und ihre Verstrickungen untereinander werden gekonnt dargestellt, auch die jeweilige Umgebung spielt eine große Rolle. Allem voran natürlich das Holländerhaus im Wechsel der Zeiten, der Bewohner und Besitzer. Fazit: ★★★★ Ein besonderes Buch zum Nachdenken, wie die Protagonisten mit den Situationen umgehen. Werden sie wütend oder fühlen sie sich als Glückspilze? Also: Wer mal Ungewöhnliches lesen möchte, fernab vom Üblichen, der wird hier vorzüglich bedient.

zurück nach oben