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smillas_bookworld

Posted on 15.6.2020

Wie schreibt man eine Liebeserklärung an einen Roman? Ich versuch es mal. Zuallererst habe ich mich in die wunderschöne, farbenprächtige und bildliche Sprache verliebt. Jeder Satz ist wie ein liebevoll gesetzter Pinselstrich, der dem Leser das Paris der 60er Jahre und das Lissabon 2019 vor Augen malt. Bereits bei den ersten gelesenen Sätzen spürte ich, wie meine Seele aufatmete. Das ist Schreibkunst! Apropos Kunst: Eine der Protagonistinnen ist Maelys, eine gehörlose Kunststudentin der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris, die seit zwei Jahren bei ihrer Tante Valérie lebt. (Beide kannte ich schon ein wenig durch den Roman „Die Wolkenfischerin“.) Eines Tages steht António vor ihr, auf dem Place du Tertre, und bittet Maelys, seinen Großvater „Vovô“ zu malen. In Lissabon. Aus finanziellen Gründen nimmt die junge Kunststudentin das Angebot an und reist mit ihrer Tante zur Quinta de Alvarenga, dem Wohnsitz von Eduardo, Antónios Vovô, der sich äußerst zugeknöpft und rätselhaft verhält. Während ihrer Zeit in Lissabon beginnt Maelys, Valéries Clairefontaine-Notizhefte zu lesen und entdeckt einen Teil ihrer Vergangenheit, der sie ins Jahr 1966 führt. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die dem strengen, konventionellen Elternhaus in der Bretagne entflieht und in Paris ein neues Leben beginnt. In einer Zeit, in der die Moderevolution Minirock ihren Anfang nahm und Valérie voller Träume und für damals ungewohnt emanzipatorischem Willen steckt. „… sein Knielang-Kompromiss reicht nicht. Wir wollen, dass der Minirock salonfähig wird.“ […] „Der Mini ist die Antwort unserer Generation auf das Establishment.“ S. 255 Beide Frauen begegnen der Liebe, fällen schwere Entscheidungen und der Leser stellt sich die Frage: Wird die Vergangenheit sich wiederholen? Mir wuchsen beide sehr ans Herz, was wohl daran liegt, dass die Aufteilung von Gegenwart und Vergangenheit so ausgewogen aufgeteilt ist. Die zarte Maelys, deren Leben als Gehörlose und Künstlerin so anschaulich beschrieben wird, wurde mir sympathisch, genauso wie die ruppige, in der Vergangenheit eher kess wirkende, toughe Valérie, die nie um eine Antwort verlegen ist. Trotz der verschiedenen Erzählperspektiven konnte ich jederzeit problemlos in die Romanhandlung eintauchen, mich in die jeweiligen Situationen reinfinden. Ich musste schmunzeln, ab und zu entschlüpften mir ein Kichern oder Lachen. Trotz allem ist die Handlung nicht oberflächlich und birgt viel Lebensweisheit, verpackt in eine schmetterlingshafte Leichtigkeit. Französische und portugiesische Wörter vervollständigen das Urlaubsflair. Im Anhang gibt es vier portugiesische Rezepte und ein Glossar der portugiesischen Begriffe. Da dieses Buch als Sommerroman vermarktet wird, möchte ich anmerken, dass es das ganze Jahr über gut lesbar ist, da Valéries Geschichte in Paris einen längeren Zeitraum umfasst. Auf jeden Fall: ein Lesehighlight! Eintauchen – lesen – genießen!

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