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Heute möchte ich euch mal ein Buch vorstellen, das ich in einer Leserunde bei der Lesejury lesen durfte. Vielen Dank an die Lesejury für das Leseexemplar! Die Zwillingsschwestern Dunja und Saphie verlieren beide am gleichen Tag ihre Männer. Dunja war bereits von ihrem Winne getrennt , und dessen Tod passte für sie irgendwie in sein Konzept. Denn die Beziehung war nicht immer das, was sie erwartet hätte. Winne drückte sich gerne vor der Verantwortung, sei es bei der Kindererziehung oder im Haushalt. So war Dunja oft auf sich alleine gestellt. Sie trauert zwar um Winne als Mensch, fühlt sich aber auch erleichtert, dass sie nicht mehr um ihn kümmern muss. Saphie im Gegenzug fällt aus allen Wolken. Ihr alkoholkranker Mann Gisbert war für sie mit dem Hotel eine Lebensaufgabe. Saphie übernahm die Verantwortung, dass das Hotel läuft, und gleichermaßen ihr Mann durch den Alkohol nicht zuviel anstellen konnte. Ihre Trauerphase kommt zeitverzögert, denn sie fühlt sich in der Verpflichtung, dass das Hotel ja laufen muss. Die jüngere Schwester Lenka ist die dritte im Bunde: flippig, und wenig ans bodenständigen Familienleben gebunden. Die Zwillingsschwestern Dunja und Saphie sind genervt von Lenka und der Aufmerksamkeit um ihre Person. Mit dem Einflug eines Filmteams liegt der Fokus auf Lenka, die die Aufmerksamkeit sichtlich genießt. Die Zwillinge würden jedoch sehr gerne sich um die Trauerbewältigung und die Zukunft kümmern. Aber die Vergangenheit um den alten Grenztunnel schwebt permanent wie eine Gewitterwolke über der Familie, die auch noch in der Gegenwart ihre Macht präsentiert. Zugegebenerweise, der Einstieg ins Buch fiel mir schwer. So recht wollte ich mit den Protagonisten nicht warm werden. Dunja wirkt für mich recht blaß, während ihre Zwillingsschwester einen sehr strebsamen Eindruck hinterlässt, der schwer fällt, loszulassen. Gleichermaßen wirkt die jüngere Schwester Lenka, als könnte sie nicht abschätzen, wann es Zeit ist, sich zurück zu nehmen. Allein bei der Beerdigung ist sie diejenige, die mit Tränen übertreibt. Als später ein Film über den Grenztunnel gedreht wird, artet dieser Filmbeitrag darin aus, dass Lenka der Mittelpunkt eines Familiendramas ist. Auch die Kinder Dunjas wirken seltsam. Beide überfordert mit dem Tod des Vaters, der doch nicht so der Held ist, für den sie ihn hielten. Augusta mutiert zum Protestkind: Protest gegen die Familie, Protest gegen das soziale System. Sie war mir am unsympathischsten, und war für mich ein unzufriedenes Nörgelkind. Jules dagegen war das komplette Gegenteil: er konnte sich nicht mitteilen; erst als es in einem Selbstmordversuch endet, kann er sich mitteilen. Leider wird seitens der Familie kaum darauf eingegangen. Die Geschichte des Grenztunnels nimmt leider keine größere Rolle ein. Jedoch habe ich mich auch gefragt, welche Rolle der Tunnel einnehmen muss, um die Geschichte der Glasschwestern zu erzählen. Er spielt keine übergeordnete Rolle. Der Titel des Buches „Die Glasschwestern“ findet im Buch mehrfach Anwendung. Nachts wird Saphie von einem Glasmenschen verfolgt, der gleichzusetzen ist mit dem inneren Ich. Beide Schwestern gehen ihren eigenen Weg, um mit der Trauer umzugehen. Während Dunja recht schnell die Trauer wegsteckt, holt die extreme Trauerbewältigung Saphie erst spät ein, dafür umso heftiger. Hier hat die lokale mysteriöse Dorfpsychologin mit den Schwestern viel zu tun. Mit den Glasschwestern hat die Autorin Franziska Hauser ein Werk geschaffen, dessen Tragweite erst sich nach und nach eröffnet. Jeder geht mit dem Verlust eines geliebten Menschen anders um. Manch einer sucht Gespräche, manch einer vergräbt sich in seinen Erinnerungen. So war für mich der Grenztunnel auch die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Man hat sich in den Tunneln der Erinnerungen umgeschaut, man weiß, dass diese Erinnerungen da sind, aber es reicht, wenn dieser auch wieder verschlossen ist. Der gläserne Mensch ist nicht nur gleichzusetzen mit dem eigenen inneren Ich, sondern auch mit der Vergangenheit des Vaters, der vor der Wende als Glasbläser gearbeitet hat. Dunja nimmt dessen Arbeit wieder auf, und geht darin auf. Saphie selber steht für mich auch für den Wandel, den das Dorf durchlebt hat. Früher etwas altmodisch, hat eine neue Generation neue Häuser gebaut, und die Damen es Dorfes treffen sich regelmäßig in der Sauna. Saphie selber fühlt sich nicht immer zugehörig, weiß aber um die Wichtigkeit solcher Treffpunkte. Die Glasschwestern stehen für so einiges. Für die Bewältigung von Trauer, aber auch Familiengeheimnissen. Die Geschichte birgt einen gewissen Zauber eines Neuanfangs, wie auch immer dieser aussehen mag. Manch Neuanfang ist nicht klar, sondern bleibt am Anfang grau. Ob sich der Nebel lichten kann, bleibt einem selbst überlassen. So passt auch das Buchcover mit ins Konzept. Ein schwieriges Buch, das mich stellenweise nicht überzeugen konnte aufgrund der Protagonisten. Manche Erzählsprünge haben sich anders entwickelt, als ich sie mir vielleicht gewünscht hätte. Aber es hat mich nachdenken lassen. Und das schätze ich an dem Buch. Kleines Highlight im Buch sind die kleinen Zitate, die am Anfang jedes Kapitels stehen. „Der Funke glimmt auch in der toten Asche“. Ach, bevor ich es vergesse noch eine abschließende Anekdote. Die Autorin hat die Namen der Protagonisten nach einem Altdeutschen Kalender vergeben. Auch wenn der Name der Großmutter statt Brigäne eigentlich Brangäne heißen sollte, finde ich, ist dies der ausgefallenste Name im Buch.