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Gabriele

Posted on 10.6.2020

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich schon einmal sechs Wochen am Stück an einem einzigen Buch gelesen habe. Manchmal war es zum Verzweifeln, weil Tolstoi sehr ausführliche Kriegsszenen beschrieben hat. Doch kurz bevor ich das Buch am liebsten zugeklappt hätte, nahm er mich wieder mit ins gesellschaftliche Leben, in den Tratsch der russischen Hautevolee zwischen 1805 – 1813. Er belauschte reiche Adelige und die, die mit dem geerbten Geld nicht umgehen konnten. Er erzählte von schönen und hässlichen Menschen, von Liebschaften und Eheschließungen. Der Kleidungsstil wurde ebenso sichtbar wie die damals in gehobenen Kreisen gesprochene französische Sprache. Besonders gefallen haben mir die amüsanten Abschnitte, in denen sich der Autor über die Lebensgewohnheiten der besseren Gesellschaft lustig gemacht hat. Dass er wohl kein Freund des Theaters war, zeigt die Beschreibung einer solchen Aufführung, in der die Schauspieler „mit den Armen fuchteln“. Doch nicht nur hier ließ mich der Autor, der fünf Jahre an dieser „russischen Ilias“ geschrieben hat, laut auflachen. Insgesamt teilt sich das Buch in drei Bereiche, die sich immer wieder abwechseln: 1. das gesellschaftliche Leben in Russland, das sich wunderbar lesen lässt und häufig zur Erheiterung beiträgt. 2. die Napoleonischen Kriege, vor allem den Russlandfeldzug von 1812. Hier erhält der Leser Einblick in die unterschiedlichen Leben der Generäle und des Fußvolks, sind aber für meinen Geschmack teilweise zu ausführlich abgehandelt 3. strategische Überlegungen zu den Schlachten. Der dritte Bereich ist meiner Meinung nach nicht so gut gelungen – zumindest ich konnte die Ausführungen nicht so richtig nachvollziehen. Sie hätten mich beinahe an dem Buch scheitern lassen. Doch ich bin froh, bis zum Schluss durchgehalten zu haben. Denn das Buch hat mich gut unterhalten, allerdings wegen seiner Ausführlichkeit zum Schluss etwas ermüdet. Seit ich mich im Internet noch ein wenig über Tolstois Leben schlau gemacht habe, empfinde ich große Hochachtung vor seine Ehefrau Sofia: Sie hat ihm neben 13 Kindern den Rücken zum Schreiben freigehalten, seine Seitensprünge ertragen und „Krieg und Frieden“ sieben Mal kopiert, da seine Schrift nahezu unleserlich war!

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