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ladymusketier

Posted on 9.6.2020

Die Köchin am Hofe v. CASTAMAR -- Telenovela VOLLER Geheimnisse, Kabalen & Gefälligkeiten +++ Ein faszinierender Plot – der nur EINE Zutat ist! Ein halbgares Gericht trotz Haute Cuisine +++ Bei dem Erfolgsstürmer von der Iberischen Halbinsel handelt es sich wohlgemerkt um e-i-n Werk, welches für den dt. Markt in zwei Bände auseinandergerissen wurde. Die diversen Handlungsschienen erinnern im Reigen einer Vielzahl von Mitwirkenden samt Aufbau im Tagebuch-Tempo an die typische Struktur von brasilianischen Telenovelas (aus den ~80er Jahren, Bsp. Das Recht zu Lieben). Der interessante historische Kontext (spanischer Erbfolgekrieg) bleibt dabei sehr verhalten dokumentiert. Bei der Lektüre dieser Romanhälfte werden dem Leser die Befugniss-Strukturen, anschaulich recherchiert, auf so einem großen, adeligen Gut (der damaligen Zeitepoche) so richtig bewußt, WIE VIELE Personen und in welchem rigiden Ranking ihrer jeweiligen ganz eigenen verantwortl. Fach-Beschäftigung nachgehen (Zahlmeister, Fleischbeschauer, Türwächter der Vorratskammern,…). +++ Diego: „Was auch immer mit Euch geschieht, hört niemals auf die falschen Einflüsterer.“ (S. 204) +++ Clara und Diego sind zwei beeindruckende, fesselnde Charaktere und Menschen von gutem Herzen, begeisterte Schöpfungen von Fernando J. Múñez! Der Autor hat sie liebevoll und eindringlich angelegt, nimmt sich auch ein wenig Zeit, jede Person für sich einzuführen. Allerdings behält er sie nicht wirklich im Vordergrund, sondern flicht sie dann eher nur ein, und, läßt den Leser trotz üppigen Lesefutters nach Verbindung zu- & Begegnungen mit-einander streckenweise verhungern. Wie der Duft und die sensationellen Köstlichkeiten Claras Kochzaubers einen schwermütigen Diego aus seiner gefangenen Trauer herauslocken, ihm endlich wieder Lebens-Funken einhauchen und ihn quasi erwecken, aufblühendes Interesse an Clara, dem neuen Mädchen in der Küche – das muß man/frau sich selbst dazu ausmalen, denn das wird lediglich knapp ausgesprochen und bleibt zu oberflächlich; dieser Entwicklungs-Vorgang an sich, eine psychologische Ausarbeitung (Gesinnungsbewegung, Seelenzustand) bleibt der Autor betrüblicherweise dem Zeilenpublikum schuldig. Ebenso, was genau Diego dazu veranlaßt und ihn umtreibt, in diesen ‚Blitz-Aktionen für Sekunden‘ Claras Nähe aufzusuchen, das interessiert, danach lechzt doch die Leserschaft! Doch der Autor beläßt es einfach dabei, geht sparsam wie nachreichend reduziert darauf ein. Natürlich bemüht sich Múñez freilich, eine feinfühlige u. wachsende Anziehung zu vermitteln – aber diese bewegende Stille, diese Spannung zwischen den beiden bleibt einfach unausgelotet, nur angerissen, wie erwähnt; kontinuierliche Auffaltung der Gefühlswelt (was geht in Clara, was in Diego vor) und Tiefe werden sehnlichst vermisst. Das liegt nicht an dem durch Etikette erzwungenen Standesabstand, und wenn sich Clara & Diego denn mal in seltenen Augenblicken gegenüberstehen, ist das wirklich zartschön von Múñez inszeniert! Der Autor IST ungeheuer talentiert, er KANN schreiben, kostet aber diese Begabung diesbezügl. nicht zum vollem Bankett aus, reicht nur „Häppchen“: Gedanken & Emotionen wirken wie eine bloße Kurzerzählung, werden gar nicht richtig eruiert und ausgeschöpft. Der für die dt. Ausgabe hinzugefügte UT „Claras Geheimnis“ ist fehl am Platz, da hier j e d e r mit seinen ganz eigenen verborgenen Geheimnissen aufwartet, welche auch dem Seitenverfolger Kapitel für Kapitel offen gelegt werden. Einerseits wird Claras Geschichte geliefert, ihre Storyline erfährt rhythmische Verquickung, anderseits, wenn man so will, ein weiterer Erzählstrang, kreiselnd um Doña Alba (die vor 9 Jahren verstorbene Gattin Diegos), die Umstände u. Auswirkungen ihres Todes, allerdings in weitgefächerten Unterverzweigungen und individuellen Handlungsgleisen (Diego, Úrsula, Enrique, Amelia, Doña Sol…). Einnehmend Zeit beschlagnahmen so Úrsulas striktes Regiment über fast alles und jeden in ihrem hohen Amt als Haushälterin des Hofes von Castamar, die Vereitelung ihres Kontrollverlustes auch hinsichtl. des ranghöheren Majordomus, sowie, Diegos teuflischer Antagonist Enrique Señor Marquis von Soto, die Darstellung dessen Intrigengeflechte, das Wesen seiner Handlangertruppe (Hernaldo von la Marca, El Zurdo) und anderer entscheidenden Strippenpuppen (Amelia, Doña Sol). Es geht demnach gar nicht vornehmlich um CLARAS GEHEIMNIS, (auch nicht um Diegos Barrieren,) noch wurde es elaboriert und verharrt daher plakativ: Claras Problematik (Agoraphobie, ihre Panikanfälle, wenn sie aus der Sicherheit geschlossener Räume in weite, offene Plätzen unter freiem Himmel tritt / quasi das Gegenteil zur wohl eher bekannteren Klaustrophobie) wird zwar anfänglich noch bewußt behandelt, dann aber im Buchverlauf wie beiläufig verwebt. Die paralysierenden Schübe werden sehr wohl sehr gut beschrieben, was diese Angst auslöst, woher sie rührt wird zwar geklärt, dagegen finden eingehende Aufarbeitungspsychologie, ein Prozess, dieser Phobie Herr zu werden und das Trauma zu bewältigen, nicht statt. Genauso: die mit Spannung erwartete faszinierende Korrespondenz nebst besonderen Form der diskreten Kommunikation erfolgt einmal erst im letzten Buch-Drittel, und wird dann auch noch mager abgespeist. Z.B. nehmen die hochachtungsvoll-süperb formulierten Zeilen des Herzogs aus zwei Briefnotizen, den Geschenken an Clara (historischen Rezeptbüchern) beigelegt, zusammengefaßt gerade mal EINE Seite des gesamten Buches ein. Da im Laufe des Romans Auflistungen mannigfaltiger Gerichte dem Herunterlesen einer ausgeschmückten Menuekarte eines Gourmetrestaurants gleichkommen, verdunstet auch die Liebe und Passion, die die Figur Clara durchs Kochen ausdrücken soll. Die flammende Berufung zu diesem Job gelingt dem Autor einfach nicht zu transportieren. Múñez hält sich womögl. mit zu viel Randereignissen, Nebenschauplätzen, skandalösen Affären, bad boys & girls und grausamen Ränken auf, verschenkt an sie gleichberechtigte Gewichtung?! nicht ganz, denn selbst einigen von diesen, mit ihren prima Ansätzen an Kapazität, mangelt es ja teils auch an dichterer Skizzierung (nur als Bsp.: Diegos geliebter Adoptivbruder Gabriel, dessen Konfrontation mit Rassismus -- ODER-- Das unglaubliche Potenzial der Haushälterin, die nicht an das Gute im Menschen glaubt, verkochte). Es fehlt simpel zusätzlich ein gutes Tortenstück an Seiten, die sich wirklich nur und einzig um Clara & Diego, getrennt und doch zusammen, und ihre geheimen Botschaften, ihrer Berührung und Nähe trotz Distanz, beschäftigen - sie sind da, aber sind nur irgendwie bündig, diätisch abgehandelt, wie auf das Nötigste beschränkt. +++ F A Z I T: Im Stil brasilianischer Telenovelas aus den ca. 80ern, versetzt in die Zeit Philipp V. um 1720. Für Fans von „Das Haus am Eaton Place“, BBC-Literaturverfilmungen und Sterneküchen. Feste Hierachien und Organisation innerhalb des herzogl. Anwesens, die Stellung der Frau, Diskriminierung, Loyalitäten, Kochschwelgereien, Intrigen und Mordpläne, Verlangen und Wollust… – reichhaltig wird kredenzt. Warum sich dieser Bd. 1 nicht zu einem grandiosen Lieblingsfestmahl arrangieren konnte? Keine wirkliche Konzentration auf den Fokus: Clara & Diego, das was sich als schlagendes Herz und tragende Genusskomposition einer außergewöhnlichen Saga ersehnt wird (und es sind wahrhaft zwei starke, aufrichtige Persönlichkeiten!), verkommt fast zu zwischengereichten, garnierten Appetizern und wird zu sehr überlagert von Duftschwaden der Gourmetmenüs, Machthunger und brachialem Rachedurst… und das… macht einfach nicht satt. Kurz: perfekte Regie diverser Multip(l)ots aufgetischt, doch zu viel fehlen ausführliche Seiten im (Dreh-)Buch besonders zum eigtl. Hauptgang. Evtl. gewährt die anstehende Verfilmung dem Protagonistenpaar ein erfüllenderes Füllhorn an Handlungsspielraum und v.a. Seelen-Vertiefung! Bewertung: 3 ½ v. 5 (Michelin) Sternen +++

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