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kingofmusic

Posted on 9.6.2020

„Vielleicht wird es einmal selbstverständlich, jeder Kreatur zu helfen und ebenso den Bäumen, Büschen und Blumen, ja sogar der Erde, der Landschaft.“ (S. 407) Obiges Zitat ist nur einer von vielen bemerkenswerten Sätzen in Uwe Timm´s erstmals 1978 erschienenen und nun wieder neu aufgelegten Romans „Morenga“. Wobei die Kategorisierung „Roman“ hier nur bedingt „greift“ – ist das Buch doch eher eine Mischung aus historisch verbürgten Tatsachenberichten und eines fiktiven Handlungsstrangs um den Oberveterinär Johannes Gottschalk aus Hamburg, der sich im September 1904 von Hamburg aus nach Deutsch-Südwestafrika aufmacht, um die dort ansässigen deutschen Truppen gegen die Aufständischen Herero und Nama zu unterstützen und sich um die erbeuteten Tiere zu kümmern. Doch schon zu Beginn wird klar, dass Timm mit der Person des Johannes Gottschalk eine Person „gestrickt“ hat, die dazu bestimmt ist, seine (also Timm´s) antikolonialistisch geprägten Thesen zu „verbreiten“. So lässt er Gottschalk immer mehr an seinem und dem Tun der deutschen Kolonialherren zweifeln und schließlich seinen Dienst quittieren. Dabei legt Uwe Timm keinen Wert auf plakative Statements, sondern platziert seine Meinung „zwischen den Zeilen“ und überlässt es den Leser*innen, diese für sich zu bewerten – sehr geschickt :-). Zwischen den Abschnitten über Gottschalk gewährt Timm den Leser*innen immer wieder einen tiefen Einblick in die afrikanische Geschichte oder berichtet aus Originalquellen der deutschen Truppen. Diese „Gefechtsberichte“ sind teilweise etwas ermüdend und bestimmt nicht für jede*n interessant. Wer sich hingegen für Militärgeschichte interessiert, wird diese Abschnitte mit großem Interesse lesen. Hingegen ist die „Landeskunde“ äußerst interessant und lehrreich. Es lässt sich leider nicht immer ganz erkennen, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion verläuft – da wären unterschiedliche Schriftarten oder eine genaue Kennzeichnung sicher sinnvoll gewesen. Aber Timm wollte wahrscheinlich bewusst alles „aus einem Guss“ erscheinen lassen. Und so muss die geneigte Leserschaft öfter mal in das neumodische Lexikon mit dem Anfangsbuchstaben „W“ gucken, ob das, was gerade erzählt wurde, wahr oder fiktiv ist. Somit ist „Morenga“ definitiv keine „mal so nebenbei ein Buch lesen“-Lektüre, sondern höchst anspruchsvoll. Der titelgebende Morenga (einer der Anführer der Herero) kommt entgegen der Vermutung, dass es hauptsächlich um IHN geht, nur selten im gesamten Buch zum Zuge, was merkwürdig anmutet, aber im Nachgang für mich nicht weiter tragisch ist; schließlich wollte Timm kein biografisches Heldenepos schreiben, sondern auf die Missstände der deutschen Kolonialpolitik aufmerksam machen. Das ist ihm in meinen Augen zu 100% gelungen. Auch wenn die Lektüre von „Morenga“ alles andere als einfach war, habe ich das Buch mit stetig wachsender Begeisterung gelesen und werde mir einzelne Passagen wohl auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal „zu Gemüte führen“. Klare Leseempfehlung und 5*. ©kingofmusic

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