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sinnesgleich

Posted on 8.6.2020

Mittwoch. Das ist also der Tag an dem die vorgeschriebene Bedenkzeit rum ist. Eigentlich dachte Hedda das sie diese Zeit nicht braucht. Sie will abtreiben, ganz klar. Ein Kind passt jetzt sowieso nicht rein. Sie hat eine Lebenskrise, kann nicht mal für sich selbst sorgen. Die ohnehin schlecht bezahlten Freelance Aufträge bleiben aus, ihre Affäre zieht einen Schlussstrich und zu allem Überfluss verliert sie auch noch ihre Wohnung. Hedda ist 33 Jahre alt, lebt in Oslo und ist vor allem eines: wahnsinnig unsympathisch, unreif, egoistisch und verantwortungslos. Sie gerät durch das ungewollte Auseinandersetzen mit der ungewollten Schwangerschaft in eine endlos Schleife aus Selbstzweifeln, Selbsthass und eine Menge unverantwortliche Situationen. Man will diese Frau am liebsten schütteln. Ärgert sich über ihr Verhalten. Entwickelt Mitleid mit dem eigentlich unzurechnungsfähigen, seltsamen One Night Stand Milo, weil er so ahnungslos ist. Und trotzdem stellt Hedda in gewisser Weise, wenn auch schon in ihren Dreißigern, unsere Generation dar. Eine Generation die alles im Internet nachschauen kann, nach Ratschlägen sucht, Erfahrungsberichte liest. Die jederzeit spontan einen Flug nach Athen, aber auch Möglichkeiten für selbst provozierte Fehlgeburten in der 14. Schwangerschaftswoche googeln kann. Eine Generation die permanent mit einem Überfluss an Informationen konfrontiert ist, und dadurch alles irgendwie als sehr bedeutungslos erlebt. Und dann ist da noch das norwegische Gesundheitssystem, das der Frau eine Bedenkzeit vorschreibt, sogar je nach Fall einen Rat aus bis zu 5 Personen einberuft der darüber entscheidet ob die Frau denn nun abtreiben darf. Wieder sind es andere Menschen die über den eigenen Körper entscheiden. Lotta Elstad gelingt mit "Mittwoch also" ein ungewöhnlicher Roman mit Blick auf einen wichtigen Aspekt weiblicher Selbstbestimmung. Das Thema "Abtreibung" ist nicht nur aktuell, sondern für einige auch sehr provokant. Dieses Buch ist unbequem, und es sträubt einen stellenweise weiterzulesen. Es ist modern, intelligent und herausfordernd. Es spricht Dinge an, die oft nur unter vorgehaltener Hand gesagt werden. Und genau das macht gute Literatur für mich aus.

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