Profilbild von Bris Buchstoff

Bris Buchstoff

Posted on 7.6.2020

Was macht die Arbeit eines Sheriffs aus? Also nicht in einem Schwarz-Weiß Western aus dem Jahre Dunnemal, sondern heute. Lucian Wing, amtierender Sheriff im ländlichen Vermont, würde sagen: Dinge passieren lassen zu können und zu versuchen, nichts so richtig aus dem Ruder laufen zu lassen. Denn wie er von seinem Vorgänger Wingate gelernt hat, kann man Menschen selten davon abhalten, etwas zu tun, das sie unbedingt tun wollen. Man kann nur versuchen, einmal schief eingeschlagene Bahnen mit manchmal nicht ganz so sanftem Druck etwas zu begradigen. So mancher junge Mann verdankt diesem Druck einiges. Als aber ein nackter fluchender Russe an einen Baum gefesselt aufgefunden wird und Sheriff Wing recht schnell klar ist, wer hierfür die Verantwortung zu tragen hat, ist nicht nur Gelassenheit gefragt ... Immer wieder hat Wing mit Sean "Superboy" Duke zu tun. Offensichtlich verbindet die beiden etwas, denn Wing lässt Sean trotz dessen (kleinerer) krimineller Vergehen an der langen Leine. Das Schicksal des jungen Mannes, der seinen Vater, einen Kriegshelden, früh verlor, kennt jeder im Ort, die meisten Menschen aber verstehen dennoch nicht, weshalb Wing den jungen Mann zu schützen scheint. Wing selbst sieht sein eigenes Verhalten sowieso aus einer anderen Perspektive. Immerhin muss er in mehr als zehn Gemeinden für Recht und Ordnung sorgen und das zu einem nicht eben üppigem Gehalt. Dennoch ist der Beruf seine Berufung. Dabei ist er schlau genug, seine Energie nicht in die Veränderung von Dingen zu stecken, die er nicht ändern kann. Eigentlich ein ganz schön buddhistischer Ansatz für diese Gegend. Aber wie die Leserschaft im Verlauf der Geschehnisse deutlich merkt, regeln sich manche Situationen wie von selbst und Wings Haltung ist dort die einzig wahre und erfolgversprechende. "Auf die sanfte Tour" kam zu mir wie auch Jane Gardams Old Filth - Trilogie: über den Bücherschrank unweit unserer Wohnung. Der Name des Autors sagte mir rein gar nichts, aber der Rückentext und das Cover sprachen mich sofort an - einmal hineingeblättert, entdeckte ich, dass Freeman eine Tradition weiterführte, der zu meinem Bedauern nicht mehr viele Autor*innen anhängen: Er verwendet sprechende Kapitelüberschriften, die ähnlich wie Schlagzeilen, zunächst kryptische Verweise auf das Geschehen bieten, dabei punktgenau formuliert nichts verraten und bei erfolgter Entschlüsselung die Leserin sehr glücklich gemacht haben. So ein kleiner Egoschmeichler auf Augenhöhe mit dem Autor ist schon was Feines, denn wer rätselt nicht gerne und entdeckt, dass er oder sie richtig vermutet hat? So punktgenau die Überschriften sind, so staubtrocken sind Freemans großartige Dialoge. Der Plot macht Spaß, die Figuren sind mit wenigen Strichen so gut gezeichnet, dass sich ein klares Bild für das Kopfkino ergibt und der Lesefluss nimmt Fahrt auf. Lucian Wing ist ein Sheriff alten Schlags, ohne die unangenehmen männlichen Seiten, was zum Beispiel sein Frauenbild angeht. Der einzige Nachteil des Romans: er ist viel zu schnell gelesen und das Leserinnenherz verlangt dringend Nachschub. Wie gut, dass gerade der zweite Roman der Reihe um Lucian Wing als Taschenbuch erschienen ist! Ach ja, wer noch ein bisschen mehr über den Plot erfahren möchte, der sollte einfach das Buch lesen. Und alle anderen, die trockenen Humor, lässige Dialoge und ausgebuffte Sheriffs mögen natürlich auch.

zurück nach oben