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wandanoir

Posted on 3.6.2020

Hotelroman: Fast-Moderne trifft Konservatismus. Hotelromane sind das Schmanckerl in der Unterhaltungsliteratur. Auch im TV und im Film und wahrscheinlich bei Netflix und Co ist das Genre angesagt. Hotelgeschichten sind fast so beliebt wie „Lädchenbücher“. (Was sind Lädchenbücher, fragt sich mancher. Romane mit solchen Titeln wie „Die kleine Bäckerei an der Seine“ oder „Die Strandbücherei hinter den Rosenbüschen.“ ) Anita Brookner (1928 bis 2016) ist gerade noch so eine Zeitgenossin Vicki Baums (1888 bis 1960), beides Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Beide Schriftstellerinnen haben auch sonst einiges gemeinsam. Vergleicht man „Hotel du Lac“von Anita Brookner mit Vicki Baums Roman „Hotel Shanghai“ (oder auch mit Baums Buch „Menschen im Hotel“), dann, ja, dann, fallen die beiden Romane und Autorinnen in fast jeder Hinsicht weit auseinander. Ganz sicher zählt der erwähnte Roman „Hotel Shanghai“ von Vicki Baum, den ich übrigens für ihren besten halte, noch besser als „Menschen im Hotel“ nur zur Unterhaltungsliteratur und Anita Brookner kann sich zur Weltliteratur zählen lassen. Interessant ist auch, dass Anita Brookner erst um die Fünfzig anfing, zu schreiben. Die reifere Lebenserfahrung führt entsprechend zu einer anderen Schreibweise. Doch als ich „Menschen im Hotel“ seinerzeit und noch einmal einige Jahre später las, wurde ich wirklich wunderbar unterhalten und ich habe die Figur der Ruth sowie den Handlungsort Shanghai noch sehr gut im Gedächtnis. Während die Heldin von „Hotel du Lac“, Edith Hope, wahrscheinlich nicht sehr lange irgendwelche Spuren in meinen Gehirnzellen hinterlassen wird. Hotel du Lac hat 1984 den Man Booker-Preis abgeräumt, ist jetzt neu aufgelegt, der Roman war mir bis dato unbekannt. Anita Brookner ebenso. Brookner ist eine Autorin der leisen Töne und des leisen Humors, ihre Art zu schreiben nahm mich sofort für das Buch ein. Es ist die alte, feine Art des Erzählens, da spielt Landschaft eine enorme Rolle und eine düstere, fast morbide Atmosphäre von gepflegter Langeweile taucht aus dem Nebel auf, der sich nur allmählich lichtet und sich über den See zurückzieht. Diese Atmosphäre ist durchdrungen von Snobismus und Selbstbeweihräucherung und innerem Verfall. Fast meint man, man sei bei Thomas Manns Personal angekommen. Allerdings verlangt Anita Brookner dem Leser keine Geduld für ellenlange Bandwurmsätze ab. Danke, Anita. Der Roman lebt von dem Gegensatz des Aufeinandertreffens einer beginnenden Moderne mit dem Konservatismus der besseren, neureichen und snobistischen Kreise. Denn die unverheiratete englische Autorin Edith Hope kann finanziell durchaus selbst für sich sorgen. Denn eigentlich ist sie, so wie sie lebt, eine moderne Frau und braucht niemanden, aber sie hält sich aus unerfindlichen Gründen meist in Kreisen auf, in denen die Moderne nicht zählt und eine Frau nur dann etwas wert ist, wenn sie einen Mann in gesicherter Position an ihrer Seite hat. Degoutante Kreise also. Ekelhaft. Das Fokusieren der Thematik auf „Mann, Mann, Mann, wie kriegt man einen, braucht man einen, eine Frau ist nur etwas durch ihn“, führt dazu, dass der Roman eben nicht mehr so sehr modern ist und heute keinen Bookerpreis mehr gewinnen würde! Es macht einen als Leserin verrückt, wie lange Edith braucht, um sich wenigstens ein bisschen aus den Stricken der Konventionen zu lösen, sie zieht sich nicht einmal nach ihrem eigenen Geschmack an (ja gibt es denn so etwas damals noch), aber wenigstens führt ihre innere Distanz irgendwie doch zu einem Ablösungsvorgang. Irgendwie löst sie sich, ja irgendwie, so ganz überzeugend ist es nicht, da sie immer noch nicht mit ihrem Lover bricht, der nicht im Traum daran denkt, seine Ehefrau für sie zu verlassen - und erst ganz zum Schluss, wobei der Roman sogar offen endet. Hosen trägt im ganzen Roman kein weibliches Wesen. Schon die Beschreibung der weiblichen Kleidung tut weh. Ein Manko ist auch die fehlende Zeitangabe. Irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg spielts bis 1984 spätestens. Ort ist ein aus der Mode gekommenes teures Hotel am Genfer See. Hotel du Lac eben. Was ist jetzt gut an dem Roman? Immerhin erhält er alle fünf Sterne von der geneigten Leserin, die bisher doch nur gemosert hat. Der Rest. Und. Gerade die Schilderung der morbiden Atmosphäre. Dass die Autorin Edith eine geheime amour fou hat, dass sie eine Schnulzenschreiberin ist, die vermutlich Lädchenbücher verfasst, und dass sie keine Menschenkenntnis hat (angeblich) und dass sie sich fremdbestimmen lässt. Plus Schreibweise. Denoch: immer alles ganz leise mit ganz viel Innerlichkeit. Und trotz vorgennanter (Schein-)handlung täusche man sich nicht, es passiert nichts. Und doch hat die Autorin die Leserin bei der Stange gehalten. Vielleicht nach dem Motto: die Hoffnung stirbt zuletzt. Nein, Scherz beiseite, der Roman lebt von seiner Figur. Von Edith Hope, die Virginia Woolf ähnelt. Wegen der Nase. Edith Hope trägt mit ihrer vornehmen Zurückhaltung, ihrer ganz leisen Kritik, ihrer Magerkeit und Fremdbestimmtheit durch den Roman. Obwohl sie einem auch mächtig auf den Geist geht. Eine einzige Figur macht die Qualität dieses Romans aus. Vicki Baum braucht(e) eine Herde. Auf das kluge, dennoch überflüssige Vorwort, von Elke Heidenreich hätte ich gerne verzichtet. Ich mags nicht, wenn man mir aufdrängt, wie ich einen Roman zu verstehen habe. Fazit: Ein Roman, den man mögen kann, aber nicht muss. Wenn man Thomas Mann las, mag man ihn vermutlich. Und solchgeartete, morbide Atmosphären muss man auch goutieren. „Hotel du Lac“ ist auch der Roman einer leisen Emanzipation. Aber um die zaghaften Emanzipationsbestrebungen der Edith Hope zu entdecken, muss man erstens genau hinschauen und zweites, ganz schön lange ausharren. Kategorie: Anspruchsvoller Roman. Belletristik. Verlag. Eisele, 2020

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