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jankuhlbrodt

Posted on 31.5.2020

Sechs Tage im April Im April vor einhundertund einem Jahr kam es in München zu einer für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich utopiesatten politischen Konstellation. Für einige Tage hatte sich eine Räterepublik konstituiert, die bald darauf von den Truppen der regulären deutschen Regierung niedergeschlagen wurde. Ihre Protagonisten wurden ermordet oder zu langer Festungshaft verurteilt. Das, was im Folgenden als Scheitern des Experiments bezeichnet wurde, war eine manifeste Zerschlagung. Mühsam schreibt sieben Jahre später: „Die trüben Erfahrungen, die die deutschen revolutionären Arbeiter bisher mit dem übersteigerten Parteisozialismus gemacht haben, lassen hoffen, dass sie sich in der Stunde der Erhebung die Direktiven nicht wieder von beamteten Führern, sondern aus der Erkenntnis des eigenen revolutionären Gewissens holen werden.“ Dass diese Hoffnung fehl ging, wissen wir aus der Geschichte. Und dennoch: Die libertären Ansätze einiger anarchistischer Handelnder und Denkender verdienen es, aufrecht erhalten zu werden. Der Verbrecher Verlag hat in den letzten Jahren ein grandioses Projekt gestemmt, in dem er die Tagebücher Erich Mühsams, herausgegeben von Chris Hirte und Conrad Piens, auf eine fast revolutionäre Art zugänglich machte. Einerseits wurden sie in Buchform veröffentlicht und andererseits auch im Netz präsentiert, begleitet von einem umfangreichen Register. Der letzte, der 15., Band ist am 15. Juni 2019 angekündigt. Man kann diese Texte in mindestens zweierlei Hinsicht lesen, einerseits als eine Art subjektive Chronik, aber auch als einen Roman des ersten Drittels des Zwanzigsten Jahrhunderts. Flankierend dazu empfehlen sich das Mühsam Lesebuch und das von Markus Liske zusammengestellte Buch „Sechs Tage im April“; das Mühsams Positionen im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Räterepublik präsentiert. Es ist Zeit für Utopien.

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