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jankuhlbrodt

Posted on 31.5.2020

Judith Shklar und Hannah Arendt In seinem Nachwort zitiert Hannes Bajohr eine Passage aus dem ebenfalls von ihm herausgegebenen und übersetzten Buch „Der Liberalismus der Rechte“: "Romantiker haben der Gesellschaft nichts als ihre Verachtung zu bieten. Der Liberalismus aber versucht, die Beziehung zwischen Einzelnen, Staat und Gesellschaft sowie zwischen letzteren beiden durch das Gesetz zu regulieren.“ Um entsprechende Gesetze formulieren zu können, bedürfte es der Analyse und nicht der, wie zumindest im deutschen politischen Liberalismus, speziell dem der FDP, jener selbstbezogenen Lobbypolitik. Eine Analyse versuchte Judith Shklar in ihren Publikationen zu leisten, natürlich nicht hinsichtlich einer Formulierung positiver Gesetzlichkeit, sondern hinsichtlich der Grundlagen, die überhaupt zu einer gerechten Gesellschaft führen können. In den letzten Jahren sind sukzessive Texte der amerikanischen Philosophin in der Übersetzung Hannes Bajohrs im Verlag Matthes & Seitz erschienen, und es hat darauf hin eine zaghafte Rezeption dieser großartigen Theoretikerin eines modernen Liberalismus eingesetzt. Zuletzt erschien eben jene Zusammenstellung von Texten zu Hannah Arendt. Vielleicht kann man meine Reaktion auf den Band in einem gewissen Maße gesellschaftlich hochrechnen. Je mehr nämlich ich mich in Texte vergrabe, die mich zunächst aus kritischer Distanz ansprechen, wie über die Jahre in die Texte Hannah Arendts, um so kleiner wird die Distanz und ich laufe Gefahr, zu einer Art Fan zu werden, der seinen Widerspruchsgeist verliert. Damit ist natürlich keiner Seite gedient, weder den vorliegenden Werken, noch mir und meinem Denken. Shklars Buch „Über Hannah Arendt“ wirkt in dieser Hinsicht wie ein reinigendes Gewitter, zum Beispiel mit solchen Formulierungen: „Es war Hannah Arendts Entscheidung, sich gewissermaßen zwischen den Philosophen und den Dichtern niederzulassen. Sie kannte die Warnungen Platons vor den letzteren und schenkte ihnen keine Beachtung.“ Shklar unterzieht dem Denken der zwanzig Jahre älteren Theoretikerin eine rigorose Kritik, macht Schwachstellen deutlich und verweist auf Momente, in denen Arendt eine aus Shklars Sicht romantische und in diesem Sinn elitäre Positionen einnimmt. Am deutlichsten wird das in dem im Buch abgedruckten Essay „Vergangenheit neu denken“, der sich um Arendts Geschichtsverständnis dreht. Dieser Text, erhellend nicht nur in der Darstellung von Arendts Positionen, sondern auch und vor allem in der ausgehend von Nietzsche verschiedenen Zugängen zu Geschichte, stellt für mich eine Art Modell kritischer Würdigung dar. Bajohrs Nachwort ist noch einmal ein Highlight des Buches, weil es thematische Auseinandersetzungen, in die Arendt verstrickt war, engführt und darüber hinaus die Entwicklung Shklarscher Positionen aufzeigt, gerade und vor allem hinsichtlich der Entwicklung und letztlich Überwindung des Totalitarismusbegriffes und eines elitären Snobismus. Die Lektüre Shklars kann die Arendts natürlich nicht ersetzen, aber auf die Shklars zu verzichten, wäre in jedem Fall auch ein grober Fehler.

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